Aftertruth

After Truth


Lilly | 05.11.20

TW: Alkoholismus, sexuelle Gewalt, Slutshaming

Achtung, Spoiler-Alert. Falls ihr den Film noch sehen wollt (warum auch immer).

Bevor ihr jetzt irgendwas sagt - mir ist klar, was ihr denkt: „Man weiß doch, worauf man sich bei diesen Filmen einlässt“, „Das darf man halt nicht so ernst nehmen“, „Dir ist klar, dass du das unterstützt, wenn du ins Kino gehst?“ „Warum schaust du dir denn bitte sowas an?“. Alles schon tausendmal gehört. Ich weiß, dass ich solche Sachen eigentlich nicht unterstützen möchte, aber eine Mischung aus Spaß an schlechten Filmen und Sehnsucht nach Teenie-Welt und Harmonie bringen mich immer wieder dazu.
Ich wusste also genau, was mich erwartete, als ich neulich zusammen mit einer Freundin in After Truth, den zweiten Teil der After-Saga (leider nicht für das Deutsche gemacht, haha) im Kino anschaute. Trotzdem war ich wieder überrascht, wie geballt alles daherkam. Ich hatte nicht gedacht, dass man so viele schlimme Clichés auf einmal bedienen könnte.

1.Heilige Maria meets Bad Boy.

Tessa Young ist ein unschuldiges und jungfräuliches Mädchen. Sie trifft auf den extrem coolen Bad Boy Hardin, der Tattoos hat und reihenweise Exfreundinnen (mein Autocorrect wollte das gerade passenderweise zu Sexfreundinnen umändern). Zwei Welten treffen aufeinander, die beiden verlieben sich, obwohl sie doch augenscheinlich gar nicht zusammenpassen. Und – oh no – er hat eigentlich eine Wette mit seinen Freund*innen abgeschlossen, ob er sie rumkriegt. Sie bekommt es raus und ist unendlich verletzt, distanziert sich von ihm. Ende des ersten Films. Der zweite enthält mehr Sexszenen, aber ansonsten passiert nicht viel anderes.

2. Bück dich hoch.

Tessa und Hardin, die sich eigentlich auf dem College kennengelernt haben, haben gerade keinen Kontakt. Er versucht verzweifelt, sie zu erreichen. Im College sieht man in diesem Film aber keinen von beiden, denn Tessa arbeitet nun in einem Verlag, wo sie einem hundertprozentigen Justus namens Trevor (gespielt von Dylan Sprouse mit Brille, kinky) begegnet. Natürlich steht er auch auf sie, Überraschung! Sie wird in einen komplett unordentlichen Büroraum geleitet, ihr wird klar gemacht, dass noch niemand es hier geschafft hat, länger als einen Tag zu bleiben. Sie soll aufräumen und dann drei Skripte pro Woche lesen und rezensieren. Natürlich ist sie aber anders als die anderen und meistert die Aufgaben entspannt. Sie wacht am nächsten Morgen an ihrem Schreibtisch auf, wo ihr Chef ihr gegenübersitzt. Alles für den Job, Aufarbeitung gehört dazu. Natürlich arbeite ich die Nacht durch, wenn ich dann einen vollkommen un(ter)bezahlten Praktikant*innen Job machen kann, hallo?

3. Vertrauens-issues und Besitz-ansprüche.

Sogleich geht das Unternehmen kollektiv auf eine Party. Trevor und Tessa besaufen sich. Tessa knutscht betrunken mit irgendeinem Typen rum, stellt sich vor, es wäre Hardin und ruft ihn daraufhin an. „Wieviel hast du getrunken?“, denn er trinkt zwar ständig, für sie ist das allerdings unschicklich. Er macht sich wie von der Tarantel gestochen auf den Weg zu ihr, und sie sitzt dabei sehr betrunken mit Trevor in ihrer Suite. Dabei schüttet sie ihm aus Versehen, sie ist ja so tollpatschig, Rotwein auf sein Hemd und – ach je –wer hätte das gedacht, er muss es nun leider ausziehen und seine Hose auch und da steht er nackt als – oh no – Hardin gegen die Tür hämmert und verlangt, dass Tessa ihm aufmacht. Hardin rastet aus, Trevor verschwindet. Tessa „verführt“ Hardin, indem sie ihm in den Schritt fasst und sein Ohr ableckt (wer’s mag). Sie haben Sex und Hardin ruft „Sag mir, dass ich der einzige bin“. Der Gedanke an diese Szene löst in mir erneut einen Würgereiz aus und erinnert mich daran, wie sehr ich mir einen Eimer gewünscht hätte.

4. It’s a Men’s World.

Ähnlich wie bei Twilight und unzähligen weiteren Filmen ist die (Schein)-Protagonistin eigentlich nur der Spielball der männlichen Figuren. Sie wird wenig charakterisiert. Tessa in diesem Fall ist brav und strebsam, will es anderen recht machen und hat ansonsten ca. keine definierbaren Charaktereigenschaften. Ihre Aufgabe ist es, sich zwischen den Kontrahenten zu entscheiden, die versuchen, sich gegenseitig aus dem Rennen zu schießen. Trevor macht das in diesem Film, indem er nach Tessas Autounfall (keine Ahnung, wieso das noch passieren musste) an ihr Handy geht und Hardin sagt, er solle sich von ihr fernhalten, um sie nicht weiter zu verletzen. Tessas Leben ist fremdbestimmt, ihr wird von Männern gesagt, was sie tun und lassen soll und sie richtet sich nach deren Bedürfnissen, ohne Wenn und Aber. Es ist ein bisschen wie die Mini-Version von der Bachelorette, denn die einzige Handlung ist, dass sie einen Partner findet. Tessa wird zwar als Hauptfigur inszeniert, doch ordnen sich generell alle Frauenfiguren den inneren und äußeren Konflikten der Männer unter.  So auch bei Hardins Mutter, die in der Beziehung mit seinem Vater Gewalt erfahren hat. Ihr Schmerz rückt allerdings vollkommen in den Hintergrund, lediglich das Leid der Männer innerhalb der Vater-Sohn-Beziehung wird thematisiert. Frauen sind in diesem Film nur Armstützen.

5. Bitchfight.

An Silvester sind Tessa und Hardin auf einer Party seines (alten) Freundeskreises. Dort gibt es zunächst einen Streit zwischen Tessa und Molly, einem Mädchen mit dem Hardin früher eine On-Off-Beziehung hatte. Sie giften sich an, Tessa slutshamet Molly aufs äußerste und das Ganze artet in körperliche Gewalt aus, sie ziehen sich an den Haaren und schlagen sich. Hardin findet das scheinbar ziemlich heiß und trägt Tessa daraufhin die Treppe hinauf, um in einem Schlafzimmer (wem auch immer das Haus gehört - iih) mit ihr Sex zu haben. Es wird klar gezeigt, dass es nur dann okay ist, Sex zu wollen und auf Dirty Stuff zu stehen, wenn man in einer (monogamen) Beziehung ist, sprich: einem Kerl gehört, ansonsten ist man eine „Schlampe“.
Tessa und Hardin kommen beide um 0 Uhr zum Höhepunkt und sie sagt „Oh mein Gott“, woraufhin er „Bin ich dein Gott?“ fragt - größter Cringe-Moment ever. Danach landen sie jedoch sofort wieder in einem Streit, da Hardin natürlich Tessas Nachrichten liest, als sie kurz im Bad ist und sieht, dass Trevor ihr geschrieben hat. Anstatt normal zu kommunizieren und das Ganze zu klären, gehen beide an die Decke, Tessa wirft Hardin vor, untreu zu sein, da er mit einem Mädchen zuvor auf der Party *geredet* hat. Sie rastet komplett aus und küsst irgendwelche Typen, um ihn zu verletzen und die Situation endet in einem Fiasko. Die Liebe der beiden ist einfach so explosiv. *Schnief*. Wie romantisch. *Kotz*.

Das alles würde reichen, um zum schlimmsten Film ever gekürt zu werden, würden nicht viele Liebesdramen genau so funktionieren. Hardin schießt den Vogel ab, als er einem Obdachlosen, der ihn um Hilfe fragt, mit Ekel und Abneigung begegnet und ihn abwimmelt. Später stellt sich heraus, dass es sich um Tessas verschollenen Vater handelt. In your face.

Nicht nur werden in diesem Film unendlich viele Schubladen geöffnet, bei denen man null durchblickt, und die Handlung sehr verworren erzählt, sondern vor allem wird damit ein vollkommen widerliches Bild von Beziehung, Liebe und Romantik geschaffen. Eifersucht, die vollkommen krankhaft ist, aber irgendwie immer gerechtfertigt und romantisiert wird. Ein Frauenbild, nach außen keusch und innerhalb der Beziehung dann willig und übersexualisiert. Egal wie oft Männer Fehler machen, es wird ihnen verziehen. Übergriffige Besitzansprüche, Misstrauen und Spionage sind normal, der Sex ist halt gut.
Einfach alles an diesem Film widert mich an. Ich empfinde es als elitäre Haltung, sich grundsätzlich über solche Medien, die von wirklich sehr vielen Menschen konsumiert werden, lustig zu machen und zu ignorieren, dass Figuren und Handlung von vielen sehr ernst genommen und eben nicht hinterfragt werden.

Share by: