AMK12

HÖR DAS GANZ.


Jules und Lilly | 24.11.2020

Annenmaykantereit über ihr neues Album in einer Zeit voller Krisen.

Am Freitag durften Hella Wahnsinn und Ella Bätsch an einer Zoom-Pressekonferenz der Band Annenmaykantereit teilnehmen, die letzte Woche unangekündigt ein neues Album veröffentlicht haben.
Im Gespräch mit Christopher, Severin und Henning konnten wir Einblicke gewinnen, wie es war, ein Album während einer Pandemie auf Distanz aufzunehmen. Die Musik hält die Zukunftsängste unserer Generation fest - das war also auch Thema der Konferenz.

"Hör das ganz."
Henning May auf die Frage, wie er das Album in drei Worten beschreiben würde.

Im Gegensatz zur meisten (Pop)-Musik werden die drei sehr konkret in ihrer Sprache. Wo andere von Liebe und Eifersucht singen, Themen, die jedem Menschen früher oder später über den Weg laufen, wird hier sehr direkt und unmissverständlich, die Verzweiflung und Sorge in 2020, während einer Pandemie festgehalten. Das Album thematisiert Hanau, Moria und  Umweltkatastrophen genauso wie einsame Momente in den eigenen vier Wänden und die Freude, geliebte Menschen nach vielen vielen Tagen wieder treffen zu können. Intimer und ehrlicher geht es wohl kaum. Ob das Mut bedeutet, so deutliche Worte zu sprechen, anstatt sich hinter Floskeln und Metaphern zu verstecken? Henning meint, es erfordere eher Überwindung, da es auch persönliche Konsequenzen für einen berge. “Wir leben ja in einer Zeit, wo die meisten Menschen, die sich in irgendeiner Form politisch äußern, auch mit dem entsprechenden Hass belohnt werden. Wir haben nicht abends diskutiert und überlegt, ob das nächste Album politisch wird. Die Entwicklung in diesem Album hat auch einfach damit zu tun, dass wir alle durch Corona gemerkt haben, wie krass Politik unser reales Leben direkt steuert. In unserem Leben hat Politik, wie bei vielen Menschen gerade glaub ich, eine viel größere Rolle gespielt als vorher, und dann ist das da mit eingeflossen. ”
Wie alle anderen Menschen auch konnten sich Severin, Henning und Christopher im Lockdown zunächst nicht treffen und schickten sich Sprachnachrichten mit Melodien und Beats hin und her. “Wir wären nie auf die Idee gekommen, so zu arbeiten, ohne Pandemie. Was da so essentiell anders wird, ist, dass man seine Ideen sehr lange alleine voranbringt. Diese Arbeitsweise ist konstant überraschend.” Das Schöne: Man muss nicht an einem Ort sein, um gemeinsam Musik zu machen. “Man kann selber lange an einer Idee rumbrüten”, so Severin.  Durch diese Herangehensweise konnten sehr intime Momente festgehalten werden, die später genauso in das Album eingearbeitet wurden. Das Album hat dadurch quasi “Democharakter”, es wurde nicht glatt gebügelt oder später künstlich reproduziert, weil das vielleicht gar nicht gegangen wäre.  
Die Idee eines Albums entstand aus der Situation des plötzlichen Lockdowns heraus. Die Tour wurde abgesagt, es gab nichts zu tun. Angekündigt haben die drei “12”, wie die Platte heißt, nicht, genauso wenig wollten sie eine Single im Voraus veröffentlichen. Die Songs gehören zusammen und sollen möglichst im Kontext und in der vorgegebenen Reihenfolge angehört werden, so schreibt die Band auch auf ihrer Website.

Das Album handelt ja auch von Zukunftsangst. Eltern sagen gerne, dass sie das ja auch hatten, als sie jung waren. Aber denkt ihr, dass es wirklich schon einmal etwas Vergleichbares gab, wie unsere Situation heute?

Christopher: Ich glaube generell Zukunftsängste hatte jede Generation schon. Was aber neu ist, ist das man heute so konkret Sachen hochrechnen kann. Dass man sagen kann, wenn wir weiter soviel Co2 in die Welt blasen, wird das ein viel heißerer Planet und das hat dann die und die Auswirkung. Und da hab ich das Gefühl, dass in der Politik, gerade was Klimawandel angeht, nicht genug Konsequenzen gezogen werden für jetzt, also bei weitem nicht. Und das man eigentlich, obwohl man wissenschaftlich schon seit vielen Jahren weiß, was auf einen zukommt, nicht handelt, weil es scheinbar noch zu weit weg ist. Das ist auf jeden Fall ein ziemlich großes Problem.

Henning: Ich glaube, jede Zeit hat ihre einzigartigen Challenges. Aber ich glaube, es gab noch nie eine Welt mit ca.  8 Milliarden Menschen und ner Pandemie und Klimawandel und unglaublich vielen Diktatoren, die Bock auf Krieg haben, und Donald Trump und der AfD. Und dieser Finalitätsaspekt - beim Klima ist es ja so, irgendwann ist es einfach vorbei. Und dieses finale Element daran, das empfinde ich als sehr bedrohend. Und da sind wir ja alle jung genug für, um zu denken, oh Gott, wenn das so weitergeht, wird es wirklich ganz ganz schlimm. Viel schlimmer für andere Menschen als für uns, aber das ändert ja nichts an dieser Tragik. So final wie jetzt gerade war dieser Kampf ums Ganze lange nicht mehr, vielleicht noch nie. 
„Die Brüder, die im eigenen Eis erfrieren“ - diese Zeile spielt ja auch auf Toxic Masculinity an. Henning hat in einem Podcast (“Wovor hast du Angst” mit Paulina Czienskowski) gesagt, dass er Angst vor Männern hat. Was bedeutet (moderne) Männlichkeit für euch? Als Gegenpol zu Toxic Masculinity?

Henning: Es spielt für uns keine Rolle zu sagen, es gibt die gute Männlichkeit und die gute Weiblichkeit. Ich glaube eher, dass wir finden, dass Männlichkeit in sich schon ein Trugschluss ist.. Dass man so viele Charaktereigenschaften über das Geschlecht herleitet. Stark, eigenständig, unabhängig usw. Und ich glaub, wir haben uns über die letzten Jahre viel von der antrainierten Männlichkeit wieder abtrainiert.. Das ist irgendwie auch ein sehr mühsamer Prozess. Es ist ja immer ein bisschen ungalant, Metaphern zu erklären. Aber wenn ich es erklären müsste, würde ich sagen: Die Zeile meint dieses “ich brauch keine Hilfe, ich schaff das allein. Nähe zu Menschen ist ein Zeichen von Schwäche”.  Das vereist zwischenmenschliche Beziehungen und macht die weniger warm. Als Gegenpol zu der Definition von Charaktereigenschaften über das Geschlecht kann man ja vielleicht einfach sagen, dass wir versuchen uns immer nur über die Eigenschaften als Mensch zu definieren und nicht über das, was man uns gesagt hat, was wir für Funktionen  im eigenen Geschlecht erfüllen müssen.
Wie erlebt ihr als Künstler die Corona-Krise, macht ihr euch Sorgen um die Kunst?

Christopher: Auf jeden Fall mache ich mir Sorgen um ganz viele  Künstler*innen und damit auch um die Kunst, die die machen. Ich glaube, dass ganz viele in der Situation waren, gerade so von ihrer Kunst leben zu können. Dass das jetzt bei einigen Leuten nicht mehr geht, dass sie sich jetzt Nebenjobs suchen oder ganz umsatteln mussten...es ist immer schwer zu bemessen, wie viel Kultur nicht entsteht, wie viel Lieder am Ende nicht geschrieben werden. Aber ich denke, dass da auch langfristig viel verschwindet. Henning hat mal so einen schönen Satz gesagt: “So eine alte Jazzkneipe stirbt nur einmal”. Wo Kneipen sowieso schon seit Jahren teurem Wohnraum weichen müssen, wird das nun nochmal verschärft und das macht eine Stadt Stück für Stück immer weniger lebenswert. Es ist etwas ganz Grundlegendes, dass Menschen an solchen Orten zusammenfinden. Diesen Winter werden ganz viele Kneipen und Clubs dauerhaft zu machen müssen und man wird dann erst sehen, was das mit einer Gesellschaft macht, wenn die Kultur verschwindet.

Henning: Und es geht auch nicht nur um die ungeschriebenen Lieder, sondern auch um die, die nicht aufgeführt worden sind. Beim Fußball werden Fangesänge verboten, Veranstaltungen, bei denen laut gesungen werden soll, wo man enthemmt ist, Bier trinkt und laut singt, sind ja schlecht für das infektionsgeschehen. Das macht mir irgendwie Angst. Es gibt so einen Satz: “Da, wo die Menschen singen, da lass dich nieder.” Es gibt so viele Orte, wo Menschen gemeinsam singen: auf der Straße, beim Karneval, im Stadion. Und das geht nicht mehr, weil man sagt, ihr müsst leise sein und ihr dürft nicht mehr irgendwo zusammen sein. Das macht mir schon große Sorgen, weil ich das Gefühl hab, das kleine Wir wird stärker, man lernt seine Familie besser kennen, die Freunde, die man eh schon hat - aber man redet immer weniger mit Fremden, man trifft weniger Fremde, man hat weniger Nähe zur Fremde. Man verreist nicht mehr. Ich hab das Gefühl, das große Zusammensein geht gerade kaputt. Wir brauchen aber diese großen Gemeinschaften, um Sachen zu verändern. Fridays for Future zum Beispiel, das entfaltet dadurch seine Wirkung. Und dass jetzt Corona ist, macht es uns sehr schwer diese Kollektive zu bauen. Das macht mir besonders für die Kunst sehr viel Angst.
“Annenmaykantereit ist ein von den Eltern finanziertes WG-Zimmer in Tübingen als Musik.” So hat  El Hotzo letzte Woche das Erscheinen des neuen Albums  kommentiert. Was die Band von dieser Aussage hält, erfragen wir beim nächsten Mal. Für uns ist jedoch klar: Wer dieses Jahr Revue passieren lassen, melancholisch sein und sich im herbstlichen grau umarmt fühlen möchte, ist bei “12” von Annenmaykantereit genau an der richtigen Adresse.

von Jules


Hey ihr unglaublich wundervollen Menschen,



hier ein kleiner Liebesbrief meinerseits. An einem Tag, an dem ich einfach nur schreien, weinen, im Bett liegen bleiben, und randalieren wollte – und das am Besten alles gleichzeitig – kommt euer neues Album raus. An einem Tag also, an dem ich überfordert bin mit im Zimmer feststecken, eine Diskussion über Sexismus mit einem Mann hatte, dessen einzige Reaktion darauf war „das hast du falsch verstanden“, an dem ich das Bildungssystem in Deutschland und diesen unfassbaren und unverständlichen Druck der mit dieser Leistungsgesellschaft manchmal einhergeht, am liebsten in den Müll schmeißen wollte, an diesem Tag also hör ich euer Album rauf und runter und kann mich gar nicht entscheiden welches Lied mir am meisten aus der Seele spricht. „So laut so leer“ würde ich am liebsten dem möglichen nächsten Kanzler Friedrich Merz ins Gesicht schreien, der letztens bei Anne Will in der Runde saß und ausschließlich Schwachsinn verzapft hat. Zu sagen, man würde Klimaschutz betreiben, ist übrigens nicht dasselbe, wie es tatsächlich zu tun. Und ist viel gefährlicher, als ehrlich zuzugeben, dass man auf voller Strecke versagt und das Leben aller weiteren Generationen - ob Mensch, Tier oder Pflanze - existenziell gefährdet. 

Es fällt mir gleichzeitig schwer, nicht aufzugeben und aufzuhören über die menschenunwürdigste aller Situationen an den Außengrenzen Europas hinzuweisen, jedes Gespräch darüber fühlt sich an wie „die letzte Ballade“ von mir. Woher soll man die Kraft nehmen, immer wieder darüber zu reden und vielleicht sogar zu „diskutieren“, obwohl es meiner Meinung nach kein einziges humanes Argument gegen Seenotrettung gibt?

Die Welt geht unter, wir stecken mittendrin. Es gab bisher wohl kaum eine Generation die solche Zukunftsängste hatte, wie die Millennials und die Gen Z. Das wird in „Zukunft“ so spürbar vertont, dass ich Gänsehaut bekomm. Damit soll nicht die Vergangenheit glorifiziert werden, in der es nicht mal möglich gewesen wäre, sich als Feministin zu betiteln und nicht automatisch Abscheu zu ernten, und auch Henning May hätte nicht offen über toxic masculinity reden können (Podcast mit Paulina Czienskowski), ohne von allen – fälschlicherweise – als schwach dargestellt zu werden. 

Das neue Album verdeutlicht für mich, dass wir – als Gesellschaft – weder in der Lage dazu sind, angemessen die Vergangenheit aufzuarbeiten, an Fehlern hängen bleiben anstatt aus ihnen zu lernen, in der Gegenwart sowieso grad alles falsch machen und damit unweigerlich mit einer unfassbaren Geschwindigkeit auf eine Zukunft zu rasen, deren Welt ich mir nicht mal vorstellen will. Mit Menschen, die denken, dass „der freie Markt schon alles regle“, keine Künstler*innen mehr vorhanden sind, weil diese ja wohl nicht systemrelevant seien und Menschen Deutschland regieren, die wohl der feuchte Traum von Typen wie Udo Bönstrup sind. Tja, es wird wohl „nie wieder so, wie es mal war“.

Aber bei all den schweren, herzzerreißenden, aufmürbenden Themen die in diesem Album behandelt werden, für die es auch keine Lösung gibt außer einen systematischen Wandel von Politik und Wirtschaft (und wir wissen ja wie lang sowas dauern kann), eine positive Nachricht gibt es dann doch: Wir kämpfen nicht allein. Es gibt so viele außergewöhnliche, kreative, faszinierende Menschen, die für die gleichen Ideale einstehen. Und gemeinsam können wir das Ruder umreißen. Und darauf freu ich mich doch tatsächlich.


PS: Ich habe diesen Text geschrieben, bevor es Kritiken / Erklärungen seitens AMK gab, wie Zeile XY zu interpretieren sei. Alles hier ist meine persönliche Meinung und spiegelt nicht zwangsläufig Meinungen der Annenmaykantereits wider


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