I Want Your Dark Romance

Simone Bauer | 15.05.25

Die Leipziger Buchmesse zeigte dieses Jahr einen Trend sehr, sehr deutlich auf: Dark Romance. Für die Leser*innen längst nichts Neues, doch für die, die nicht im Thema sind, schon ein wenig schockierend. Da steht beispielsweise mitten in Halle 4 eine riesige Leinwand, auf der ein Haus abgedruckt ist. Vor dem Haus ein vermummter Kerl, ein Stalker.  Und die jungen Leser*innen gehen hin – und kreischen … vor Freude?

Dark Romance dreht sich um sexualisierte Gewalt; Figuren werden beispielsweise entführt und in den Menschenhandel gezwungen (das Happy End wartet dann meistens mit traditionell konservativen Familienträumen und weißem Gartenzaun). Und trotzdem werden die Knie vieler Leser*innen weich. Die Männer, die hier fesseln und erniedrigen, sind ihre Book Boyfriends. Denn sie sind morally grey, zu komplex, um sie einer Seite zuzuordnen.

 

Nun sollte man meinen, dies könnte der BDSM-Literatur angehören, einem Genre, das es schon lange gibt und das nicht wirklich etwas mit „50 Shades of Grey“ zu tun hat – was wiederum auch nichts mit Dark Romance zu tun hat. Denn dazu ist „50 Shades of Grey“ zu zahm. Jedenfalls schließt die BDSM-Szene Dark Romance aus, weil es zu toxisch sei, eben „dunkel-romantisch“. Consent gibt es in den Dark-Romance-Büchern übrigens auf jeden Fall – und wenn es manchmal nur der Consent ist, der die Lesenden zum Buch hat greifen lassen.

 

Die Wurzeln finden sich vielleicht in „Twilight“. Der männliche Protagonist Edward wurde in Stephanie Meyers weltberühmter Fantasy-Reihe vor über fünfzehn Jahren so dermaßen romantisiert, obwohl er Bella 24/7 überwacht. Was es bedeutet, vom Freund überwacht zu werden reflektierte man erst Jahre später.


In Zeiten immer größer werdenden Aufklärung zu toxischen Beziehungen fahren Leser*innen also dennoch auf diese „male leads” ab. Auf der Leipziger Buchmesse gab es eine riesige Schlange vor dem Stand der deutschen Erfolgsautorin D.C. Odesza. Auch die Verlage Vajona und WondaVersum, der Stand der deutschen Autorin Jane S. Wonda, waren unglaublich groß – vor allem verglichen mit den Traditionsverlagshäusern in der Nachbarschaft – und überfüllt. Ein ähnlicher Run fand nur auf den Stand von LYX statt, der aber das komplette Kontrastprogramm bietet: Pastell, pastell, pastell. Junge FLINTA*s haben nämlich vor wenigen Jahren die Buchbranche gerettet, mit New Adult. Einem Genre voller schillernder Märchenprinzen, auf die die Hauptfiguren stehen (und ja, die meisten sind wirklich Prinzen).


„Eine Liebschaft zu einem brutalen Mafiaboss? Yes please.“



Wichtig ist, dass Leser*innen natürlich die Fantasien haben dürfen, die sie haben. Ein Problem ist sicherlich aber, dass Triggerwarnungen viel zu junge Lesende nicht abhalten. Hier müssten Eltern stärker in die Pflicht genommen und aufgeklärt werden. Denn eigentlich ist es natürlich gut, wenn FLINTA* zu ihren Kinks und hypothetischen Fantasien stehen dürfen.

Die wenigsten Leser*innen wünschen sich, dass das Gelesene zur Realität wird. Sie mögen das BDSM-ähnliche Spiel, ohne Teil der Szene zu sein. Weil die Szene aber auch nicht ganz so einfach zugänglich ist für jede*n. Das macht es auch schwieriger, sie zu verstehen, sowie die unterschiedlichen Regelwerke und Codes. Fesselspiel ist nicht gleich Fesselspiel; wer sich beim Liebesspiel in Handschellen begibt, ist noch lange kein*e BDSM-Anhänger*in.


Für die Lesenden bedeutet es, sich fallen zu lassen, denn man kann am Ende den Figuren zwischen den Buchdeckeln doch vertrauen. Ein rares, reines Vertrauen; in der Realität müssen sie ständig achtsam sein. Wer würde denn spontan ins Auto eines Unbekannten steigen, nur, weil er gut aussieht? Mindestens die Location würde schnell geteilt werden. Und sicherlich ist Dark Romance auch ein Resultat der Abstumpfung von normaler Romance, so, wie P0rnographie ja auch abstumpft. Durch unzählige Geschichten, konsumiert als Bücher, Serien oder Filme, ist viel Drama bekannt; bald wird, was vor Jahren noch für Aufsehen gesorgt hat, langweilig. Das dreht Handlungsstränge hoch, die früher vielleicht ethisch nicht produziert worden wären, wie zum Beispiel Inzest.


Wichtig ist eine immer weitere Aufklärung zum Thema „toxische Beziehung“ – und warum gewisse Kinks mit Consent in Ordnung sind, aber nicht als Übergriff im Alltag (was nicht immer jede*r versteht, wenn er*sie Dark-Romance-Lesende sieht und sich über #MeToo wundert). Vielleicht wird das Genre dann etwas weniger komplex und leichter zu verstehen - es bleibt sicherlich morally grey, wie seine Protagonist*innen. Was danach aus dem Genre werden würde, ist eine andere Frage – aber so könnte man von einem safe space für sexuelle Fantasien  ausgehen. Denn solange man in keiner toxischen Beziehung ist, kann man immer sagen, niemals reinrutschen zu können – bis es dann passiert.