DieHoelleisteineinhalbLaenderentfernt

Die Hölle ist eineinhalb Länder entfernt

Petra | 07.04.22


Content Warning: Dieser Text handelt von Krieg, Tod und Gewalt


Es ist viel von der Gewissheit die Rede, die verlorengegangen ist, mit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine, in Europa. Klar, Kriege gibt es überall, ständig. Und nein, natürlich ist es überhaupt nicht okay, woanders wegzugucken, nur weil es weit weg ist, in Syrien etwa. Haben wir aber gemacht – es ist durch nichts zu rechtfertigen. 


Vielleicht ist das Wegsehen in den letzten Jahrzehnten auch ein Grund, warum der Krieg in Europa uns so sehr rausreißt aus der Gewissheit des Friedens, einem Luxus, an den wir uns so sehr gewöhnt haben, dass er sich noch immer selbstverständlich anfühlt – Krieg, das ist woanders.

Was bedeutet diese Ungewissheit? Vielleicht muss man das gedanklich mal der Reihe nach durchgehen. Um sie (wieder) nachvollziehbar zu machen, die Ungewissheit, den Albtraum. Man sitzt zuhause, der Krieg rollt heran, die Angst ist schon da, aber was tun? Die halbe Familie will fliehen, die andere Hälfte bleiben, bloß nicht weglaufen. Keine Ohnmacht bitte, und dennoch: Was tun, wenn die alte Mutter nicht mitwill? Zurücklassen? Nein. Doch. Scheiße


Dann sind sie da. Und jetzt geht’s los: Sich verstecken, wo im Haus ist es sicher? Nirgends. Wenn man sich in einer Kiste einsperren würde, sie wäre nicht sicher. Schlösser kann man aufschießen, keine Umstände. Einmal kurz reingetreten, dann sieht man schon, ob sich unter den Laken wer krümmt. Man stelle sich vor: Nirgends des eigenen Lebens sicher. Sie durchsuchen alles, selbst voller Angst, betäubt vom Schnaps, das auch, und damit unberechenbar. Es gibt kein sicheres Versteck, nicht draußen in der Stadt, nicht drinnen im Haus, weder auf dem Dachboden noch im Keller, aber schlimmer noch, es gibt auch keine menschliche Grenze mehr. Frauen, Kinder, Alte, Kranke, wenn das Menschliche im Menschen erlischt, hilft kein Wort mehr, es bleibt die nackte Panik. Wie muss es sich anfühlen, wenn man das weiß? Wenn man weiß, dass das Leben endet, sobald man entdeckt ist? Und wenn man weiß, dass das Leben aus den eigenen vor Schmerzen schreienden Kindern vergewaltigt und herausgeschlachtet wird? Wie lang wird das dauern? Wie lange muss man dabei zusehen, ohne das Geringste tun zu können? 


Die Ungewissheit, ob uns das hier passieren kann, wird zur Gewissheit von gestern. Und von Morgen. Natürlich kann uns all das hier auch passieren. Das Massaker. Die Toten. Wieso auch nicht? Es ist bereits passiert und passiert überall auf der Welt. Die Hölle ist das. Gerade ist sie eineinhalb Länder entfernt. 

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