digitaledinosaurierin

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Bekenntnisse einer digitalen Dinosaurierin

Petra | 19.02.2023

Alle reden immer nur von der digitalen Wüste, dass Deutschland den Anschluss verpasst hat, während man in Belgien auf jedem Acker mit 5G surft. Ich möchte da mal ehrlich sein: Meine Digitalkompetenz gleicht der einer Polaroidkamera.

Ich möchte auch gar nicht jammern. Habe ich mir alles selber zuzuschreiben, habe lieber gelesen, gesandelt, meine Stofftierparade sortiert. Ich mochte Computerspiele nicht, fand Windows damals schon lahm, zumindest bei Paint würde das heute jeder unterschreiben. Selbst den Gameboy fand ich doof, nahm er mir doch regelmäßig meine Spielkameraden weg.  Später: PowerPoint – habe ich an der Uni immer wen anders machen lassen. Excel? Ach Scheiße. Zu meiner Verteidigung: Ich kann noch Steno! Und: Ich hab das Tippen noch auf der Schreibmaschine gelernt, auf einer Aldi-Schreibmaschine, von meiner Mutter eigens nachhause geschleppt für mein neues Unterrichtsfach in der 8. Klasse, es hieß „Textverarbeitung“, haha, findet Ihr da draußen vielleicht komisch, ich nicht.


Heute Morgen holte mich meine unzureichende Vergangenheit mal wieder ein, aber dieses Mal ziemlich brutal, nämlich in Form einer persönlichen Nachricht auf einer Second-Hand-Plattform:


„Hallo, ich habe gerade deine Bewertungen gelesen und möchte vom Kauf zurücktreten. Habe keine Lust, dass ich mein Geld wegen Unzuverlässigkeit nicht erhalte.“


Dann eine digital erstellte Storno-Nachricht. Wow. Das saß. Ich und unzuverlässig? Was war da passiert? Erst mal suchte ich meine Bewertungen. Ich hatte bis dato noch gar nicht gecheckt, dass ich welche hatte. Hatte doch nur ein paar Klamotten für meine Tochter geshoppt, auf „Kaufen“ geklickt, meine Kreditkartennummer angegeben, war doch immer alles einwandfrei gelaufen, oder nicht? Hatte doch mit dem Kauf immer sofort bezahlt, dachte ich. 

Nach einigem Suchen in meinem Konto fand ich endlich zu meinen Bewertungen, alle desaströs. „Direkt über das System gekauft, dann nie wieder online gewesen. Musste ewig auf mein Geld warten.“ 

„Kein persönlicher Kontakt, nur gekauft und fertig – schade.“


Okay, abgefahren. Ich wusste das nicht! Man sollte auf solchen Plattformen immer erst eine persönliche Nachricht an den/die Verkäufer*in schreiben, sagen, wie schön der angebotene Artikel ist, um dann den Vorschlag zu unterbreiten, easy und schnell über PayPal zu zahlen.

Denn wenn man „übers System“ kauft, kann man als Zahlungsmittel nur die Kreditkarte wählen und muss den Erhalt des Päckchens nochmal extra auf der Plattform bestätigen. Sonst muss der oder die Verkäufer*in wochenlang auf sein/ihr Geld warten. Ich spürte meine Haarwurzeln vor Scham, wie demütigend: Ich war keine drei Sterne wert!

„Ich hatte nicht mitbekommen, dass die Netiquette heutzutage verlangt, dass man bei einem Online-Kauf nicht nur seine Daten korrekt angibt, sondern bitteschön auch hier für einen ,netten Kontakt' zu sorgen hat."

Ich hätte mich ausführlicher mit Online-Secondhand beschäftigen sollen. Dabei wollte ich doch nur ein paar grüne Klamotten für meine kleine Tochter kaufen, sie will an Fasching als Frosch in die Kita gehen. Drei Stunden hatte ich mich spät abends im Internet rumgetrieben, denn als ehemaliges Gardemädchen im Karnevalsverein habe ich eine profunde Abneigung gegen Faschingspolyester entwickelt. Auch bin ich leider sehr ambitioniert, was ein stilvolles Outfit betrifft. Das gibt’s nicht im Faschingsstore. Das ist alles fürchterlich hässlich da. Außerdem will ich Sachen, die auch unterm Jahr durchgehen, dazu ein paar froschige Accessoires, fertig. Und ja, ich bin da eigen. Ich habe aber auch keinen Platz für jährlich neue und nur einmal getragene Faschingskostüme. Danach online verkaufen? Ich fürchte, dafür habe ich mich bereits durch meine Inkompetenz im Einkauf disqualifiziert. Aber ich schweife ab. 


Eine gute Stunde lang betrieb ich also Schadensbegrenzung. Derweil hatten andere Anbieter*innen weitere meiner Käufe wieder storniert, die miesen Bewertungen hatten ihr Vertrauen in meine Kredibilität nachhaltig erschüttert. Außerdem war ich ja offenbar ein schlechter Mensch, kein netter Kontakt. Für jemanden, der leider sehr viel auf die Meinung anderer über sich gibt, ein unhaltbarer Zustand. Schrecklich! Ich schrieb also Bewertungen, Entschuldigungsnachrichten, Erklärungen. Beantwortete die Nachrichten verletzter User*innen, entschuldigte mich erneut. Wahrscheinlich werde ich nach Eintreffen der als einziges Stück in meinem Warenkorb verbliebenen grünen Strumpfhose einfach mein Konto löschen, dazu riet mir zumindest deren freundliche Noch-Besitzerin. 


Was bleibt, ist das schale Gefühl, dass ich gern einen Pfifferling auf Online-Shop-Bewertungen geben würde, die besagten Worte aber leider einen ganzen Tag und darüber hinaus in meinem Kopf umherwaberten. Und dass ich offenbar abgehängt worden war, im digital-sozialen Gefüge. Ich hatte nicht mitbekommen, dass die Netiquette heutzutage verlangt, dass man bei einem Online-Kauf nicht nur seine Daten korrekt angibt, sondern bitteschön auch hier für einen „netten Kontakt“ zu sorgen hat. Dass man nicht einfach auf „Kaufen“ klickt, dass das respektlos und asozial ist. Und ich dachte, ich bin nachhaltig, wenn ich Klamotten secondhand kaufe. Haha, ich Saurus Digitalis! 


Ich gehe heute in einen Stoffladen. Kaufe dort grünen Filz für grüne Flossen mit Klettband. Ich kann nicht nähen, natürlich tue ich mir schrecklich leid. Aber so kann ich in Zukunft zumindest analog meine Würde bewahren. Im Internet werde ich meine sozialen Trampelspuren jedenfalls notdürftig verwischen und, wenn überhaupt, nur noch unter fragwürdig-geschmacklosem Pseudonym shoppen. „SumseSuse84: Danke für den tollen Kontakt, unglaublich, alles wie auf dem Bild, wer hätte das gedacht. Und so eine liebe Kaufabwicklung, dafür 5 Sterne, DANKE und LG, Herzchen und Kuss-Smiley.“


Ich verstehe jetzt, warum so viele Leute digital detoxen. Das hält ja keiner aus. 

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