Extremismus

Die Mitte ist mir zu extrem

Karla | 09.09.2021

 Wenn über rechtsextreme Gewalt berichtet wird, dann dauert es meist nicht lange, bis jemand die moralische Relativismuskeule schwingt. ,,Aber die Linksextremen sind natürlich ein MINDESTENS genauso großes Problem“, sagt dann irgendwer und klopft sich zufrieden auf die Schulter, denn damit hat man sich ja so schön von jeglichen Extremen distanziert und genau da positioniert, wo sich die große Mehrheit tummelt. Da, wo Armin Laschet (,,Der Mann der Mitte“) und seine Kolleg:innen fröhlich nach Wählern fischen: in der Einöde der politischen Meinungslosigkeit. Dass sie damit den Rechten in die Hände spielen, ist vielen dieser Hobby-Relativist:innen gar nicht klar.

Die angebliche politische Mitte ist für viele Menschen ein sicherer Hafen, von dem sie sich Stabilität und vor allem Schutz vor gesellschaftlichen Veränderungen erhoffen. In Wirklichkeit zeichnet sich dieses sagenumwobene Niemandsland jedoch vor allem durch das aus, was es NICHT ist - extrem halt. Und so viel mehr leider auch nicht.
Der Mythos der Mitte geht Hand in Hand mit der Hufeisentheorie, einem Denkmodell, das das politische Spektrum auf der Form eines Hufeisens anordnet. Links- bzw. Rechtsextreme Positionen befinden sich an den beiden Enden des Hufeisens, streben also von der ,,Mitte“ weg. Das Modell legt nahe, dass Links- und Rechtsextremismus einander näher seien als der Mitte, also der Befürwortung einer demokratischen Grundordnung. Es ist allerdings ein Irrglaube, dass die beiden Endpunkte des Spektrums irgendwie ,,genau gleich schlimm“ oder miteinander verwandt seien, wie immer wieder behauptet wird. Tatsächlich unterscheiden sich Links- und Rechtsextremismus maßgeblich, und es ist nicht nur eine übertriebene Vereinfachung, so zu tun, als täten sie es nicht, sondern sogar sehr gefährlich. 

Im Jahr 2019 verzeichnete das BKA laut Verfassungsschutzbericht 31.472 extremistisch motivierte Straftaten, darunter hatten 21.290 rechtsextremistischen und 6.449 linksextremistischen Hintergrund. Als Erklärung für diese Differenz wird oft angeführt, dass über 14.000 der rechtsextremistischen Straftaten ,,nur“ Propagandadelikte (also beispielsweise das Zeigen von nationalsozialistischen Flaggen) waren - Propaganda, die man weder als harmlose Schmiererei bezeichnen noch mit Anarcho-Graffitis in einen Topf werfen sollte. 

Aber auch davon abgesehen gibt es Unterschiede in der Art und Weise, wie Linke und Rechte Gewalt ausüben. Rechtsextremistisch motiviert sind beispielsweise deutlich mehr Körperverletzungen, Erpressungen und Nötigungen. Linksextremist:innen begehen dagegen mehr Brandstiftungen, Sachbeschädigungen, Landfriedensbrüche und Widerstandsdelikte (wobei es schon als gewaltsamer Widerstand gilt, wenn man sich etwa bei einer Festnahme an einer Laterne festhält). Insgesamt richtet sich linke Gewalt vor allem gegen die Polizei, Einrichtungen des Staates und politische Gegner:innen, also Rechtsextreme. Rechte Gewalt hingegen hat fast immer einen rassistischen oder antisemitischen Hintergrund, wie zum Beispiel die Terroranschläge in Halle 2019 und in Hanau 2020.

Diese Gegenüberstellung soll linke Gewalt keineswegs kleinreden oder verharmlosen - zweifellos geht davon eine Gefahr aus, und natürlich sind nicht wenige Linksextreme stark radikalisiert und demokratiefeindlich. Dennoch ist, wie der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge betont, die Qualität der Gewalt eine ganz andere. ,,Wenn Linksautonome etwa Strommasten fällen, ist das etwas völlig anderes, als wenn Rechtsterroristen türkische Migranten umbringen“, so Butterwegge.

Verfechter:innen der Hufeisentheorie argumentieren oft, dass ,,Gewalt einfach gleich Gewalt“ sei, so schreibt zum Beispiel FDP-Politiker Marco Buschmann auf welt.de: ,,Für die Ablehnung von Gewalt sowohl gegen Personen als auch Sachen ist es nämlich völlig bedeutungslos, wie diese Gewalt motiviert ist. (…) Je radikaler und gewalttätiger sich politische Gesinnungen verwirklichen, desto mehr entfernen sie sich von der Mitte und umso ähnlicher werden sie sich in ihren sozialschädlichen und unmenschlichen Auswirkungen“. 

Dem ist zu widersprechen, denn: Es ist nicht egal, ob Gewalt gegen ein System erfolgt, von dem viele Menschen sich enttäuscht und im Stich gelassen fühlen, oder ob die Gewalt sich gegen Menschen richtet, die als Sündenböcke für diese Enttäuschung herhalten sollen - etwa aufgrund ihrer Rassifizierung oder Religionszugehörigkeit.

Auch sind linksextreme Modelle (auch antiparlamentarische) grundsätzlich mit demokratischen Werten wie zum Beispiel Freiheit und Gleichheit vereinbar, während rechte Ideologie gerade auf der Ablehnung dieser Werte aufbaut. ,,Während die einen also Menschen fortschaffen und sterben lassen wollen, treten die anderen gerade dagegen an”, sagt der Politologe Robert Feustel dazu.

Die Hufeisentheorie ist vollkommen ungeeignet, das politische Spektrum darzustellen und sie gibt rechtspopulistischen Parteien den Anlass, bei Extremismusvorwürfen schnell auf die linken Parteien zu verweisen, die ja auch ,,sehr extreme Ansichten haben“. Dass beispielsweise ,,Die Linke“ sich schon seit Jahren in eine sozialdemokratische Richtung entwickelt und von Extremismus weit entfernt ist, wird dabei völlig übersehen. 

Aber nicht nur Rechte profitieren von dieser Vereinfachung. Auch die ,,Mitte“ und ihre Parteien, allen voran CDU und SPD, machen sich die Extremismustheorie seit Jahrzehnten zu Nutze, um sich selbst als besonders repräsentativ für die Mehrheitsgesellschaft darzustellen. Indem sie sich einerseits von mordenden Nazis, aber auch ausdrücklich von steineschmeißenden Linken distanzieren, gewinnen sie scheinbar die moralische Oberhand und suggerieren der Wählerschaft, dass sie ein sicherer, gewaltfreier Ort für alle wären, denen sowohl Gendersternchen als auch aufmarschierende Faschisten ,,irgendwie zu krass“ sind. Eigentlich ist aber auch die angebliche politische Mitte wurzeltief von Rassismus, Antisemitismus und Homofeindlichkeit durchzogen. Genauso problematisch ist es, dass sich populistische Parteien wie die AfD regelmäßig als ,,bürgerlich-konservativ“ ausgeben, obwohl sie zutiefst demokratiefeindliche Werte vertreten und immer wieder durch Nazi-Rhetorik (looking at you, Björn Höcke) und inhaltliche Nähe zu ,,tatsächlichen“ rechtsextremen Gruppierungen auffallen.

Die ,,Mitte“ ist also ein inhaltliches Nichts, denn wie Margarete Stokowski es im Spiegel treffend ausgedrückt hat, gibt es keine Mitte zwischen ,,linken“ Werten wie etwa der Annahme, dass allen Menschen unabhängig von Hautfarbe, Sexualität und Religionszugehörigkeit die gleichen Rechte zustehen, und der rechtsextremen Annahme, dass es Menschen gibt, denen diese Rechte verwehrt werden sollen. Die Mitte zwischen diesen beiden Ansichten wäre höchstens, keine Meinung dazu zu haben. Und das wäre irgendwie schlecht.

Denn obwohl viele Menschen Angst davor haben, sich zu positionieren und mit ihrer Meinung anzuecken, ist es doch oft sinnvoll, einen klaren Standpunkt zu vertreten - dafür muss man weder Pflastersteine auf Polizist:innen werfen noch Molotowcocktails basteln. Während der Verfassungsschutz glaubt, ein paar brennende Mülltonnen in Leipzig-Connewitz würden eine baldige kommunistische Revolution bedeuten, sitzen die eigentlichen Feinde der Demokratie längst im Bundestag - vielleicht bald als Teil der Mitte.

Und diese Mitte, die sich gerne einbildet, über jedes Extrem erhaben zu sein, muss sich im realen Geschehen oft mit Fragen beschäftigen, auf die es nur extreme Antworten geben kann. Und dann nichts zu tun - Lockdowns vor sich herzuschieben zum Beispiel - ist eigentlich die extremste Entscheidung, die man treffen kann.


Quellen:

https://www.zeit.de/2020/10/links-rechts-extremismus-verharmlosung-gleichsetzung/seite-3 

https://www.zdf.de/nachrichten/politik/hufeisentheorie-hufeisenschema-rechtsextremismus-afd-linke-thueringen-102.html 

https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_Spektrum 

https://de.wikipedia.org/wiki/Widerstand_gegen_Vollstreckungsbeamte 

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4721/umfrage/vergleich-der-anzahl-von-rechten-und-linken-gewalttaten/

https://www.woz.ch/-9a 

https://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article205948597/Gastkommentar-Ein-Lob-der-Hufeisen-Theorie.html 

https://www.spiegel.de/kultur/thueringen-und-die-cdu-die-mitte-ist-ein-mythos-stokowski-kolumne-a-67a31aa0-239e-4540-aaf7-8d9ef4ea9936

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