Mit Sicherheit verliebt - aber wie?
Johanna | 18.06.2025
In den Workshops des Projekts „Mit Sicherheit verliebt“ werden Schüler*innen über Safer Sex, Consent und Queerness aufgeklärt. Wie dabei ein selbstbestimmter Umgang mit Sexualität gefördert, Verhütungsmittel entmystifiziert und Geschlechterrollen aufgebrochen werden - darüber spricht Katha mit uns im Interview.
Foto: Hannah Politycki
Hallo Katha! Du bist Teil des studentischen Sexualaufklärungsprojekts „Mit Sicherheit verliebt“. Stell dich und das Projekt gerne einmal vor.
Wir sind eine Gruppe von Studierenden verschiedener Fachrichtungen, aber überwiegend Medizinstudierende, die bei einem bundesweiten Präventionsprojekt zur sexuellen Aufklärung mitmachen. Wir gehen in Schulklassen und gestalten dort Workshoptage. Dabei nutzen wir spielerische Methoden, um mit den Jugendlichen über Themen wie Pubertät, sexuell übertragbare Krankheiten, Consent, Umgang mit Medien oder Körperbilder zu sprechen. Auch Queerness ist eines unserer Themen. Dafür gibt es aber auch noch das Projekt “SCHLAU”, die ebenfalls Workshops an Schulen anbieten und dabei hauptsächlich Queerness thematisieren. Die Schüler*innen, mit denen wir die Workshoptage machen, gehen in die Klassen 6-10.
Diese Workshoptage finden also ergänzend zum klassischen Sexualkundeunterricht statt. Was unterscheidet eure Herangehensweise von diesem? Ihr nutzt auch ein bestimmtes pädagogisches Konzept, die peer education. Was hat es damit auf sich?
Genau, der normale Sexualkundeunterricht, den man zum Beispiel in Biologie hat, findet trotzdem wie immer statt – wir sind ein ergänzendes Projekt darüber hinaus. Das hat zum einen den Hintergrund, dass wir jünger sind als die meisten Lehrenden und somit näher an den Schüler*innen. Wir erhoffen uns durch unsere externe Position, einen Safer Space aufbauen zu können, in dem es den Schüler*innen leichter fällt, Privates zu teilen, als im normalen Unterricht mit ihren Lehrkräften.
Peer education
bezieht sich im Grunde darauf, dass wir auf Augenhöhe agieren.
Wir stehen da eben nicht als Lehrer*innen, wir achten auch darauf, dass wir nicht als Autoritätspersonen auftreten. Wir sind einfach da, wir schaffen ein Angebot.
Falls jemand nicht mitmachen möchte, dann muss die Person das auch nicht. Was aber bei den meisten Schüler*innen nicht der Fall ist, wir stoßen eigentlich auf sehr großes Interesse.
Gib uns gerne einen kleinen Einblick: Wie läuft so ein Schulbesuch ab?
Wir fangen meist in einem großen Stuhlkreis an, stellen uns vor und legen ein paar Regeln für den Tag fest, wie z.B. dass das Gesagte den Raum nicht verlässt. Das gilt sowohl für die Schüler*innen als auch für uns. Wir achten da in allen Aspekten drauf: Auch Zettel mit anonymen Fragen, die wir im Laufe des Tages sammeln, schmeißen wir niemals in den Mülleimer des Klassenzimmers. Außerdem sagen wir, dass es okay ist, zu lügen - wir dürfen lügen, die Jugendlichen dürfen lügen. Weil es manchmal einfach vorkommt, dass man Fragen gestellt bekommt, die man nicht beantworten möchte und sich nicht verletzlich machen und beispielsweise sagen möchte: „Ne, habe ich noch nie gemacht“. Niemand ist uns irgendeine Wahrheit schuldig. Wie es danach weitergeht, ist immer ein bisschen unterschiedlich, wir haben verschiedene Blöcke, zu denen bestimmte Methoden gehören.
„Manchmal ist es den Schüler*innen erstmal peinlich, etwa ein Gleitgel in der Hand zu halten. Aber sie merken schnell, dass es einfach nur ein ganz normaler Gegenstand ist“
Welche Methoden wendet ihr mit den Schüler*innen an?
Wir behandeln zunächst ganz klassische Dinge wie Anatomie, zum Beispiel, wie die Klitoris im Gesamten aussieht. Wir haben hierfür Klitoris-Modelle dabei, weil diese in Büchern meist nicht komplett abgebildet werden. Eine andere Methode, die wir oft nutzen, ist der "Grabbelsack". Dabei geben wir einen Jutebeutel herum, mit ganz vielen verschiedenen Gegenständen rund um Verhütung, sexuell übertragbare Krankheiten oder Periode. Weil es ganz cool ist, diese Sachen konkret in der Hand zu haben und zu entmystifizieren: Du hast dann wirklich mal eine Spirale in der Hand und kannst sie dir anschauen, du kannst sehen, wie groß sie ist, du kannst dir vorstellen, wie das ist, wenn die in einem Uterus drin sitzt. Wir vermitteln dann allgemeine Informationen zu den Gegenständen und differenzieren genau, welches Verhütungsmittel vor sexuell übertragbaren Krankheiten schützt, welches vor Schwangerschaft. Manchmal ist es den Schüler*innen erstmal peinlich, etwa ein Gleitgel in der Hand zu halten. Aber sie merken schnell, dass es einfach nur ein ganz normaler Gegenstand ist, der eben mit Sex zu tun hat.
Die Schüler*innen können euch im Rahmen des Workshops auch Fragen stellen. Wie läuft das ab?
Wir sammeln über den ganzen Workshoptag Zettel mit anonymen Fragen und am Ende des Tages beantworten wir diese nach bestem Wissen und Gewissen. Manchmal sind es persönliche Fragen an uns, sowas wie: "Wie oft habt ihr Sex?", oder: "Wann hattet ihr das erste mal Sex?". Die beantwortet dann jede Person, die möchte, so konkret sie will. Wir sind da aber recht offen, weil wir das ja machen, um ein realistisches Bild zu vermitteln. Oft sind es auch Themen wie „Was ist normal?“, oder ob bestimmte Sexpraktiken wehtun. Wir weisen dann darauf hin, dass Sex nie (ungewollt) wehtun sollte, dass man immer das Recht hat, zu stoppen. So bekommen wir einen Eindruck davon, was die Kinder beschäftigt und finden uns nicht selten selbst darin wieder. Auch Fragen zu Intimrasur kommen häufig. Ich finde es schön, die Person sein zu dürfen, die ihnen Angst und Unsicherheit nimmt und sagen kann: Lasst euch nicht zu sehr davon beeinflussen, was vermeintlich normal ist. Hört auf euer Gefühl. Seid mutig genug, dieses Gefühl vor anderen zu vertreten, lasst euch nicht verunsichern. Achtet aufeinander. Wir versuchen so, einen respektvollen, selbstbestimmten Blick auf Sexualität zu vermitteln.
Häufig ist die Scham gegenüber andersgeschlechtlichen Personen in der Pubertät besonders groß. Bildet ihr hier verschiedene Gruppen, damit sich einzelne Kinder wohler fühlen? Oder macht das wieder neue, binäre Kategorien auf?
Ja, im Laufe des Workshoptages machen wir auch eine Gruppentrennung. Das hängt mit der Erfahrung zusammen, dass gerade weiblich sozialisierte Teilnehmer*innen offener sprechen, wenn sie in einem kleineren Rahmen mit uns zusammen sind. Inhaltlich machen wir in beiden Gruppen aber keine Unterschiede. Es geht nur darum, mehr Raum zu geben, damit sich einzelne Leute besser öffnen können. Das Ziel ist nicht, mit den Jungs über Masturbation zu reden und mit den Mädels über Periode. Wir diskutieren intern viel über diese Aufteilung, auch darüber, wie man das bezeichnet. Dabei schreiben wir aber nie von außen jemandem ein Geschlecht zu, würden nie sagen: „Wir glauben, du bist in der falschen Gruppe.“ Letztes Mal haben wir die Jugendlichen lediglich unter der Vorgabe getrennt, dass die Gruppen dann kleiner sind und es hat sich dann einfach ergeben, dass sich eine Gruppe aus überwiegend weiblich sozialisierten Schüler*innen zusammengefunden hat. Aber auch in gemischten Kreise konnten sich einige gute öffnen – es kommt hier also stark auf die Gestaltung an.
„Das Ziel ist nicht, mit den Jungs über Masturbation zu reden und mit den Mädels über Periode.“
Stellen die Kinder geschlechtsabhängig unterschiedliche Fragen?
Ich habe zum Beispiel noch nie erlebt, dass von einer weiblich sozialisierten Person eine offene Frage über Masturbation kam. In kleineren Gruppen von überwiegend männlich sozialisierten Personen dagegen ist Masturbation oft ein größeres Thema. Ich glaube nicht, dass sich die weiblich sozialisierten Schüler*innen nicht dafür interessieren, aber es wird weniger danach gefragt. Außerdem ist zu merken, dass sich die Rolle von Männlichkeit in der Gesellschaft gerade verändert und bei den Jungs viele Fragen dazu aufkommen. Es werden zwar etablierte Stereotype reproduziert, aber es gibt auch viele Fragen wie beispielsweise: „Wie soll ich mich denn verhalten als Mann?“. Ich glaube, da ist eine Suche nach Antworten, weil man als Junge viel gesagt bekommt, wie man sich nicht zu verhalten hat und nicht, was in der jeweiligen Situation richtig wäre. Bei den Mädchen merkt man leider schon, dass viel aus einer passiven Rolle gedacht wird. Also eher in die Richtung: „Was könnte mir passieren, wie schütze ich mich, wie tut das weh...?“. Das reproduziert aktive vs. passive Rollenbilder - zumindest meinem Eindruck nach.
Wie versucht ihr zu vermitteln, dass Mädchen* genauso eine aktive Rolle spielen können und sich selbst mehr als Subjekt statt sexuelles Objekt verstehen?
Wir haben keine spezielle Methode dafür, sondern versuchen, das implizit zu vermitteln, indem wir es aktiv in allen Diskursen mitdenken und sprachlich veranschaulichen. Zum Beispiel beim Thema Consent, hier verfällt man schnell hinein zu sagen, wenn er
jetzt das bei ihr
macht. Ich glaube das ist eine Falle, in die man leicht tappt, aber vor der wir uns hüten, indem wir versuchen alles geschlechtsneutral zu halten und immer darauf zu achten, dass unsere Sprechweise vermittelt, dass jede Person sowohl aktiv handeln, als auch passiv sein kann.
Was sind die Herausforderungen eurer Arbeit?
Natürlich müssen wir uns manchmal damit auseinandersetzen, dass Einzelne ablehnende Haltungen etwa gegenüber Homosexualität und Transpersonen haben. Wir sprechen das immer an, ohne eine einzelne Person dabei anzuprangern. Wir versuchen eher, sie zur Reflexion anzuregen, indem wir sagen: „Okay, du hast jetzt diesen Begriff genannt, der kann beleidigen oder ist beleidigend, warum ist das so?“. Wir machen aber natürlich auch deutlich, dass diskriminierende Aussagen innerhalb und außerhalb unserer Workshops keinen Platz haben sollten, weil sie herabwertend und verletzend sind.
Entstehen bei den Workshops auch Diskussionen zwischen den Schüler*innen?
Das Thema, das die meisten Diskussionen hervorruft, ist Consent. Es gibt eine Methode, bei der wir über Situationen sprechen, die in puncto Einverständnis ambivalent wahrgenommen werden können. Dabei bauen wir räumlich ein Spektrum in der Klasse, auf welchem sich alle positionieren dürfen, je nachdem, ob ihrer Ansicht nach Consent in der jeweiligen Situation gegeben ist. Wir interviewen dann einzelne Leute auf verschiedenen Positionen – das regt natürlich Diskussionen an. Da stoßen wir manchmal an Grenzen. Etwa bei Fragestellungen, die in eine ethische Richtung gehen, wo es schwer ist, eine klare Linie zu zeigen, weil es um Feinheiten und Nuancen geht, die unterschiedlich ausgelegt werden können. Vorher vermitteln wir natürlich die zentralen Grundsätze von Consent. . Wir überlegen erstmal: “In welcher Situation muss ich Consent einfordern, wenn ich welche Dinge vorhabe oder mache?”. Wir besprechen, warum man Consent braucht, in welchem Zustand man Consent geben kann oder eben nicht. Zum Beispiel wenn man in irgendeiner Art durch Alkohol oder Drogen beeinträchtigt ist, wenn man in einem Machtverhältnis oder unter Druck steht oder wenn man nicht informiert darüber ist, was die andere Person vorhat.

Das Thema Consent früh und ausführlich zu behandeln, ist so wichtig. Danke für eure Arbeit! Was hat dich persönlich dazu motiviert, dich der Aufklärungsarbeit bei
Mit Sicherheit verliebt
zu widmen?
Ich habe in meiner Jugend eine sehr nüchtern-biologische Aufklärung erfahren, die kaum über diesen Bereich hinausging. Die Beschäftigung mit emotionalen Fragen, wie dem Setzen der eigenen Grenzen, der Entdeckung der eigenen Sexualität, sowie der Normalisierung von Sexualität und dem Sprechen darüber, hat gefehlt. Da sind viele Unsicherheiten und Fragen geblieben. Antworten dazu holt man sich dann von Freundinnen, die schon mehr Erfahrungen gemacht haben oder mittlerweile aus dem Internet. Dort findet man aber manchmal Antworten, die noch mehr verwirren oder auf eine falsche Fährte locken. Und da ist es wichtig, dass wir ansetzen und eine Alternative bieten, die auch auf wissenschaftlicher Ebene funktioniert, gleichzeitig mehr persönliche Erfahrungen beinhaltet und sich stärker an dem orientiert, was die Schüler*innen wirklich wissen wollen.
Wie kann man bei euch mitmachen?
Ahh, immer gerne! Im Laufe der Mitgliedschaft sollte jede*r einen Basis-Workshop mitmachen, wo man sich qualifizieren kann, Schulbesuche zu machen. In diesem Basis-Workshop werden die ganzen Methoden durchgeführt und besprochen, zusätzliche Infos vermittelt, zum Beispiel durch Vorträge. Bevor man diese Qualifikation hat, kann an den Schulbesuchen als hospitierende Person teilgenommen werden.
Vielen Dank für das Interview!