komparativerkostenvorteil

Was ist der komparative Kostenvorteil?

Oscar Lange | 02.06.22

Da will man als Alman seine gesunde Biobanane aus Sachsen-Anhalt kaufen und stellt fest, dass in Sachsen-Anhalt keine Bananen wachsen. Was nun? Nur keine Sorge: Der Supermarkt nebenan hat ja Bananen zu boshaft günstigen Preisen. Wie macht der das denn, wenn in Sachsen-Anhalt keine Bananen wachsen? Er importiert sie aus einem Land des globalen Südens.  Ein Potassium Mangel ist abgewendet. Welthandel vom Feinsten. Ökonomen haben lange Zeit die Magie des sogenannten komparativen Kostenvorteils beschworen. Auf diesem Konzept beruht das Hauptargument für den freien Welthandel: Wenn jede Nation das produziert, was bei Ihr relativ günstiger produziert werden kann, dann führt das zu mehr Produktion für alle[1]. Dieses Mehr an Produktion wird dann miteinander gehandelt und dann sind alle glücklicher, als wenn sie keine Banane hätten und weiter holzige Äpfel essen müssten. Zusätzlich gibt’s dann ja auch für alle mehr Auswahl [2], kurzum: eine feine Sache.

Unglücklicherweise stellt sich heraus, dass bei genauerer Betrachtung die Länder des globalen Nordens die (human) kapitalintensiven Wirtschaften sind. Kapital meint in diesem Zusammenhang alle Teile der Produktion, die nicht Arbeit sind. Die Länder im Süden hingegen haben, ausgelöst durch die koloniale Unrechtsherrschaft und Ausbeutung, einen starken Fokus auf arbeitsintensive Wirtschaftsprozesse. Und so bauen der Bauer und die Bäuerin in Indien die Bananen an, während der Sepp aus Deggendorf den BMW zusammenschraubt. Soweit die klassische Geschichte.[3] Arbeiterinnen sind eben weitaus zahlreicher und günstiger im Süden. Da sagt man dann, die Lohnstückkosten seien eben in Indien niedriger als in Niederbayern.

Aber warum ist das so? Ist wirklich eine Art wirtschaftlicher Urzustand dafür verantwortlich, dass die Löhne so viel niedriger sind in anderen Ländern? Wer so suggestiv fragt, gibt die Antwort am besten selbst: Wäre die Regulierung der Arbeitsbedingungen im globalen Süden so strikt wie die Regulierung der Arbeitsbedingungen im Norden, dann würde vom Kostenvorteil vermutlich wenig übrig bleiben[4]. Die Institutionen, die diese Unterschiede in Arbeiterinnenrechten stützen, stammen häufig noch aus der Kolonialzeit. Und da haben wir noch gar nicht von Korruption, politischer Einflussnahme und allem dazugehörigen Schmutz gesprochen. Aber darum soll es hier auch nicht gehen.

Wer in Deutschland einen Primark-Pulli kauft, der zahlt sich selbst zum Teil eine Rente dafür, dass er exzellente Arbeiterinnenrechte hat (im internationalen Vergleich) und Anderen in Bangladesh das Dach über dem Kopf zusammenbricht. Und so bleibt unterm Strich, dass die ökonomische Theorie eine auf den ersten Blick plausible Geschichte erzählt, die an der Hässlichkeit der Wirklichkeit zerschellt.

Natürlich ist die Realität komplizierter, und ein von vielen geforderter Importzoll bringt ebenfalls Probleme mit sich. Aber der freie Handel eben auch. Lustigerweise würde der komparative Kostenvorteil auch vorhersagen, dass der Westen ebenfalls nach China im großen Stil exportiert. Davon ist aber weniger zu sehen. Wenn Ihr also das nächste Mal jemand trefft, der mit dem Argument des komparativen Kostenvorteils Handelsbeziehung rechtfertigt, die auf ausbeuterischen Arbeitsbedingungen beruhen, dann habt ihr jetzt alle notwendigen Argumente für einen nuancierten Gegenstandpunkt.


[1] Diese Theorie stammt aus dem 19. Jht. und geht auf den schottischen Ökonomen und Philosophen  David Ricardo zurück.

[2] Krugman, Paul. “Scale Economies, Product Differentiation, and the Pattern of Trade.” The American Economic Review 70, no. 5 (1980): 950–59. http://www.jstor.org/stable/1805774.

[3] Das dazugehörige Modell nennt man Heckscher-Ohlin Modell nach den beiden Ökonomen, die es ursprünglich entwickelt haben.

[4] Busse, Matthias. "Do labor standards affect comparative advantage in developing countries?." World Development 30.11 (2002): 1921-1932.

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