MIAFILIA

MIA FILIA  

ein Theatermosaik über Gewalt und Haushalt, Medizin, Religion und Sex

Foto: The Hidden Company / Yoshi Goldberg

v.l. Nayana Grüneisen, Pamina Wittmann, Sabrina Wolf

 Bildschirm frei für den Feminismus

Ein Text von Lilly | 15.01.21


Theater über Video-Chat funktioniert nicht? Aber hallo. Nicht nur steckt MIA FILIA voller neuer Impulse, berechtigter Wut und politischen Anspielungen, es ist auch ein kleines technisches Meisterwerk. Von der Ausgeklügeltheit und Innovation eines Theaterstücks - auf ZOOM.  

Die Idee

für das feministische Theatermosaik hatte Regisseurin Stephanie Xaveria Stocker schon länger - konkret umgesetzt wurde sie erstmals 2019 als 30-Minüter im Rahmen des WortSchauFestivals des KulturBunt Neuperlach.

Damals noch live, auf einer Bühne, vor Publikum.

Im vergangenen November sollte das Stück dann in etwas abgeänderter Form erneut dargeboten werden - was jedoch tun, wenn einem in absehbarer Zeit keine Theaterbühnen zur Verfügung stehen?
Genau, einfach das Stück als Zoom-Event umschreiben.
Ich weiß, wie das klingt - funktioniert das denn? Hab ich mich auch gefragt.
Aber es stellte sich ganz anders dar als erwartet.

Foto: The Hidden Company / Yoshi Goldberg

v.l. Florian Apold, Osama Kezzo, Raimund Joswig

Von Adam und Eva über Gendermedizin, eine Beschwerde bezüglich einer fragwürdigen Playmobil-Sammelaktion, bis hin zum umgeschriebenen Donau-Lied  

Einlass war, wie man es als Theaterbesucher_in kennt, eine halbe Stunde vor Beginn. Eine Funktion, die ich selbst noch gar nicht kannte, wurde essentiell für das ganze Aufführungserlebnis: Alle Teilnehmenden, die ihr Video ausgeschaltet haben, können ausgeblendet werden. Auf diese Weise wurde man nicht von schwarzen Kästchen gestört, die für gewöhnlich den Bildschirm einnehmen. Alle Zuschauenden hatten also Ihre Videos aus und den Galeriemodus angeschaltet, da ging es auch schon los. 

Die erste Szene spielt im Garten Eden, dazu hatten die Schauspieler_innen auf ihren Bildschirmen jeweils einen künstlichen Hintergrund eingestellt, der einen Wald zeigte. Zwischen den Szenen wurden jeweils Schilder gezeigt, die die nächste Handlungsstation ankündigten. Durch das Stück führte von Raimund Joswig und Pamina Wittmann eingespielte bzw. eingesungene, selbst geschriebene Zwischenmusik, die zusätzlich durch pointierte Texte unterhielt. 

Alle Mitwirkenden waren bei sich Zuhause mit einem eigenen Gerät eingewählt und verschwanden sofort, sobald sie "von der Bühne abgingen", sprich die Szene verließen. Es gab keine Ton- oder Bild-Patzer, die Verbindung funktionierte (zumindest bei mir) ebenfalls sehr gut. 

Aber allein bei diesen Effekten blieb es nicht: Da MIA FILIA ein Theatermosaik ist, gibt es keine stringente Handlung, sondern immer neue Bilder, die verschiedene Aspekte von Feminismus aufgreifen. Von Adam und Eva über Gendermedizin, eine Beschwerde bezüglich einer fragwürdigen Playmobil-Sammelaktion, bis hin zum umgeschriebenen Donau-Lied war hier alles vertreten. Da die auftretenden Figuren ständig wechseln, war bei jeder Szene ein neuer Name in den Feldchen zu lesen. Das Bühnen- bzw. Szenenbild variierte durchgehend, genauso wie Requisiten und Kostüme. Die Schauspieler_innen reichten sich gegenseitig Gegenstände durch die Bildschirme, zumindest in der theatralen Täuschung wirkte es so, sodass man aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Die Bildschirme schienen sich immer richtig anzuordnen, überhaupt ging alles so schnell und reibungslos, dass nur eine Frage offen blieb: Wie haben die das gemacht? 

Auch mit dem klaren Vorteil einer Zoom-Performance, der filmischen Nähe, wurde geschickt umgegangen. Das Bild wurde abgedeckt, Körperteile in die Kamera gehalten, Augen guckten einen direkt an, sodass man sich selbst mitten im Zoom-Geschehen wiederfand. Auch wurde mit dem Offensichtlichen gespielt - drei Freundinnen treffen sich per Videochat und sprechen unter anderem über die Pandemie. Ja, ist das Ganze denn dann nicht eher wie ein Film? In der Tat gar nicht, denn die Aufregung und Faszination einer Live-Performance waren definitiv vorhanden. 


"Zwar sind alle bei sich Zuhause, trotzdem tritt recht schnell eine Art Kick ein, wenn man realisiert, dass man vor ca. 70 Leuten spielt", so der Tenor der Schauspieler_innen im anschließenden Publikumsgespräch. Aus der Zuschauenden-Position kann ich sagen, dass das absolut auf mich übergesprungen ist, trotz Zoom - oder gerade deshalb? Es war ein besonderes Erlebnis, aus dem eigenen Wohnzimmer gebannt zu beobachten, wie jede nur erdenkliche Zoom-Funktion effektvoll zum Einsatz kam und diese Plattform, auf der man sonst in Uni-Veranstaltungen vor sich hin döst, plötzlich zu einem so abgefahrenen Kunst-Ort wurde. 

Foto: The Hidden Company / Yoshi Goldberg

Sabrina Wolf, Florian Apold

Was mir besonders gut gefiel, waren die Parallelen zum „echten“ Theatererlebnis: Einlass und Warteraum, Tontechnik, Auf- und Abgehen von der Bühne, rasante Umzüge und wechselndes Bühnenbild, alles da und übertragbar. Und das dann in Kombination mit Heimkino-Elementen wie essen dürfen, sich uneingeschränkt bewegen können, per Chat die Handlung mit Freund_innen kommentieren. Ich lieb's! 

Natürlich wird nie etwas den Moment übertreffen, wenn man in einem vollem Theater mit Tränen in den Augen Standing-Ovations gibt. Ich hoffe auch, dass der relativ bald wiederkehrt. Aber bis dahin ist diese unglaublich innovative Form der Zoom-Nutzung ein nicht zu unterschätzender Trost.

So sah es unter anderem "hinter den Kulissen aus". Sabrina Wolf un Nayana Grüneisen waren die einzigen Mitwirkenden, die während der Aufführung am selben Ort waren. Bestimmte Kamera-Positionen wären sonst wohl auch eher schwierig geworden. (Foto: privat)

„Mia Filia.“ Meine Tochter. Stereotype Rollenbilder prägen nach wie vor die Gesellschaft. Sie sind auch verantwortlich für geschlechterbedingte Benachteiligung und Bevormundung. Die rechte Szene mit ihren frauenfeindlichen Einstellungen wächst. Wie begegnet man veralteten Klischees und Stammtischparolen? Wo fängt Gleichberechtigung an und wo hört sie auf? „Mia Filia“ ist ein Theatermosaik. Es geht um Gewalt und Haushalt - Medizin, Religion und Sex. Die Figuren bewegen sich zwischen Erstarrung, Zoomparty und Aufschrei. Am Ende bleibt „Mia Filia“ sie selbst.

Regie&Text: Stephanie Xaveria Stocker @xaveriahinzundkunz
Schauspiel: Sabrina Wolf @sabrinachristinwolf / Nayana Grüneisen @ipsnay / Florian Apold @dariamaflo / Dalila Toscanelli @duh_lee_lah
Musik: Raimund Joswig @raim_und_beatz / Pamina Wittmann @iampamini
Bühnenbild&Licht: Anastasia Bukatka @sleepin__beauty 
Regieassistenz: Marie Fuchs @mary_smiling_sun
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