MoriaBrand

Das Lager auf Moria brannte, doch der Protest dahinter blieb unsichtbar

Cyberliz | 17.06.2021

Brennende Lager zeigen symbolisch, wie der Wille der Geflüchteten nach einem gerechten Leben in Europa nicht erlosch. Ein Feuer, das sich gegen eine humanitäre Katastrophe richtet. Mit einer Form des Widerstands, mit dem sich schon Unterdrückte in den Kolonien von ihren Besatzer*innen befreiten. 

„Kaum an der EU-Grenze angekommen, bleibt den Menschen keine Möglichkeit mehr, sich frei zu bewegen.“

Station Moria 


Im größten Geflüchtetenlager Europas auf der griechischen Insel Lesbos, Moria, entfachte im September 2020 ein Feuer. Zuvor lebten die 600 Menschen, davon etliche Kinder und Jugendliche, unter Platzmangel, menschenunwürdigen und unhygienischen Bedingungen. In der Berichterstattung werden Bilder von Lagern mit aneinandergereihten weißen Zelten gezeigt.  Vielmehr müssen jedoch die Aufnahmen in Erinnerung gerufen werden von vergammeltem Essen, schmerzhaften Rattenbissen bei Kindern oder nassen Betten.

In dieser Situation sitzen die Leute erstmal fest, sobald sie die Festung Europa erreichen. Kaum an der EU-Grenze angekommen, bleibt den Menschen keine Möglichkeit mehr sich frei zu bewegen. Das liegt daran, dass seit Jahren auf der politischen Bühne der EU darüber diskutiert wird, wo die Geflüchteten verbleiben bzw. in welche Länder sie aufgeteilt werden sollen. Die Entscheidung über ein Asylverfahren, soll direkt in den Ankunftsländern im Mittelmeerraum gefällt werden. So entstehen Lager wie Moria, in denen Migrant*innen in prekären Verhältnissen erstmal festgehalten werden. Berichte von Reporter*innen, Aktivist*innen und Betroffenen zeigen darüber hinaus, dass die Grenz- und Migrationsregime der EU (FRONTEX) mit sogenannten illegalen Pushbacks, Menschen an den EU-Außengrenzen mit brutaler Gewalt zurücktreiben. In beiden Fällen werden Migrant*innen durch die Asylpolitik systematisch marginalisiert, diskriminiert, und kriminalisiert. Aus dieser misslichen Lage, aus einer scheinbar ausweglosen Unterdrückung heraus passierte das, wovon zumindest lokale griechische Medien sprachen: Die Geflüchteten zündeten ihre Zelte an.

Humanität als Aushängeschild der Liberalen 


Die Medien reagierten prompt auf die Bilder, die sich so gut zeigen ließen. Wo manche rechts-konservative Parteien und Medien den Geflüchteten das Feuer zum Vorwurf machten, reagierten andere mit Statements zur schrecklichen Lage, zur humanitären Katastrophe. Der bürgerliche Diskurs stellt sich bei solchen Ereignissen gerne als großer humanitärer Retter da. Doch nur die schreckliche Lebenssituation für Kinder und Frauen in den Lagern anzuprangern reicht nicht aus, um bestehende Verhältnisse zu verbessern. Was an diesen scheinbar solidarischen Bekenntnissen problematisch ist, ist dass Regierungen und Staaten trotz dieses Mitleids weiterhin harte Kurse in der Migrationspolitik fahren und Migrant*innen weiterhin ihre Einreise und Recht auf Asyl verwehren. Das gegenwärtige System erweckt vielleicht den Anschein, aber beinhaltet keinen Versuch, die allgemeinen Interessen der Menschen und besonders ihre Rechte dort zu vertreten. Gerade übernehmen NGOs vor allem die humanitäre Hilfsarbeit und fordern die sofortige Evakuierung der Menschen und ein faires Asylverfahren. Auf diese Forderungen folgen dann kleine humanitäre Aktionen. Deutschland nahm beispielsweise nach dem Brand 150 Geflüchtete auf. In der linken Debatte wird dann kritisiert, dass solche kurzfristigen, medienwirksamen Aktionen richtig und wichtig seien. Für eine gesamte, langfristige Lösung mit dem Fokus auf freie Migrationsbewegungen fehle allerdings der politischer Wille. 

Das größte Problem bei der Frage nach dem Umgang mit Geflüchteten ist nicht, Hilfsstrategien und Mittel zu finden - auch wenn sich diese meist am dringlichsten stellen. Vielmehr muss der Horizont erweitert werden und der politische sowie ökonomische Spielraum des Systems in Frage gestellt werden, der diese Bedingungen und Probleme überhaupt herstellt.


Das Inbrandsetzen auf Haiti


Wer eine katastrophale Lage verändern will, muss erkennen, dass nicht der Apparat und das System, das sie herstellt, Lösungen für die Interessen der Marginalisierten bieten kann. Das zeigt auch die Revolution auf Haiti, ein Beispiel für einen ähnlichen antikolonialen Widerstand der Sklav*innen auf den Plantagen der französischen Kolonie Saint-Domingue. Parallel zur Französischen Revolution (1789) und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte forderten die versklavten Menschen, dass diese auch universell für sie gelten sollten. Es begann eine Revolution, die unter Bourkman, einem Versklavten, ihren Höhepunkt im Jahr 1791 erreichte. Sie befreiten sich von der europäischen Sklaverei mit den gleichen Mitteln wie die Geflüchteten in den Freiluftgefängnissen auf den Inseln im Mittelmeer. Die Versklavten setzten sämtliche Plantagen in Brand. Sie zündeten ihre Arbeitsstätten an, die zu diesem Zeitpunkt ihre einzige Existenzgrundlage waren. Um sich selbst aber als Menschen erhalten zu können, mussten sie gegen ihr unmittelbares materielles Umfeld kämpfen. Sie zerstörten den Ort der Unterdrückung. Innerhalb dieses Umfelds waren sie zuvor lange Zeit gefangen und ihnen blieb nichts anderes übrig, als in den unterdrückten Verhältnissen auszuharren. Doch es kam der Moment, als sie begriffen, dass sie innerhalb eines begrenzten Ortes, in dem sie durch die materielle Abhängigkeit kontrolliert werden gleichzeitig ausgebeutet und damit gefangen gehalten werden. So wurde ihnen klar: Solange es diese Lebens- und Arbeitsplätze gab, würden sie weiterhin unter der Ausbeutung leben müssen. Sie erhoben sich gegen die Kolonialherrschaft und gründeten die erste Schwarze Republik. (Genauere Beschreibungen sind bei CLR James im Band “die Schwarzen Jakobiner” nachzulesen)

Menschenrechte und die EU


Frantz Fanon, ein antikolonialer Theoretiker, erklärt, dass diese Eingrenzung in einem kolonisierten Raum anhand rassifizierter Merkmale die Unterdrückung symbolisiert und aufrechterhält. So kritisiert er darüber hinaus ganz allgemein den Umgang mit Menschenrechten. Denn das Problem mit den Menschenrechten ist, dass sie historisch gesehen vom europäischen Bürgertum geschaffen und bloß als universell verkauft wurden. Folglich mögen diese Lager den Anschein haben, den Menschen irgendwie zu helfen. Schließlich bekommen die Menschen dort Essen und eine Unterkunft. Doch eigentlich bleibt den Menschen dort gar nichts anderes übrig, als in abhängigen Verhältnissen zu leben, oder eben dagegen zu protestieren. 

Abschließend ist es wichtig zu verstehen, dass den Menschen ihre Selbstwirksamkeit geraubt wird, wenn ihre Verhältnisse nur zu passivem Leid heruntergebrochen werden. Vielmehr ist hier zu beobachten, dass widerständige Praxen wie das Inbrandsetzen ein Zeichen dafür sind, dass die Menschen für ihre Gleichberechtigung kämpfen wollen. Und sich damit gegen ein System stellen, das diese Verhältnisse immer weiter reproduzieren wird (es wurde ja wieder ein neues Zeltlager errichtet und illegale Pushbacks werden weiterhin durchgeführt). Sich mit dieser Form des Widerstands zu solidarisieren, bedeutet für universelle Menschenrechte einzustehen. Sich gegen ein System auszusprechen, das die Bewegungsfreiheit von Migrant*innen einschränkt, wodurch solche Lager überhaupt entstehen können, bedeutet, die Würde des Menschen zu achten. 


Quellen & Referenzen:

Frantz Fanon (2016). Schwarze Haut, weiße Masken. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Wien/Berlin, Turia & Kant.

CLR James (2001). The Black Jacobins: Toussaint L’Ouverture and the San Domingo Revolution. Vintage

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