Verehrt, verachtet, verworfen-Frauenmythen

Verehrt, verachtet, verworfen - Die phantasmatische Erschaffung der Weiblichkeit


Lena | 17.02.2023

In der Literatur treffen wir auf sehr viele Frauen, die sich sehr viele Männer ausgedacht haben. Dieses Ungleichgewicht kann nichts Gutes verheißen, es führt zu einer bis heute fortwährenden Verknüpfung von Weiblichkeit und Bild, die lebende Frauen in Mythen der Passivität drängt. 


Die Artikel der letzten Wochen sind unter dem Schlagwort “Weiblichkeitsmythen” zusammengefasst. Wie Weiblichkeit und Mythos verbunden sind, haben wir bisher ausgelassen. Dieser Text will die Konturen dieser Lücke nun nachzeichnen.

Ich muss allerdings noch vor dieser Frage beim ersten Teil des Begriffs ausharren, denn spätestens seit Judith Butlers ist “Wir Frauen” nicht mehr als Subjekt und Kampfbegriff des Feminismus haltbar. Er ist durch den Geschlechterdiskurs produziert, künstlich hergestellt und wird erst nachträglich durch die Unterscheidung von “gender” und “sex” naturalisiert. Indem “gender” als sozial konstruiert und “sex” auf die biologischen Unterschiede separiert wird, gilt “sex” als unumstrittener, d.h. prädiskursiver Begriff. Die Selbstverständlichkeit, mit welcher Feminist*innen den Ruf “Wir Frauen” nutzen, ohne ihn zu hinterfragen, bringt die Gruppierung “Frauen” erst hervor und ist somit politisch gemacht. Indem wir Tag für Tag die unserem zugeordneten Geschlecht entsprechenden Verhaltensweisen wiederholen, produzieren wir die Ordnung erst - “doing gender”, wie Butler das in ihrer Theorie der Performativität nennt. 


Wir erkennen also, dass bereits der erste Teil des Begriffs ein Mythos ist, was dieses Vorhaben nicht unbedingt erleichtert. Um fortzufahren, will ich eine weitere Theoretikerin heranziehen: Die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Silvia Bovenschen, die den Diskurs mit einem grundlegenden Text zu kulturgeschichtlich überlieferten Weiblichkeitsvorstellungen prägte. Sie trennt die von Männern imaginierten Frauen, die uns überall in der Literatur- und Kunstgeschichte begegnen, von lebenden Frauen und stellt dabei fest, dass die beiden kaum etwas miteinander gemeinsam haben. Bis darauf, dass die Bilder von Frauen eben nicht
abbilden, sondern produktiv die Vorstellungen und Erwartungen an Frauen bilden. Eine verkehrte Reihenfolge. 

Deshalb trifft es der Begriff Weiblichkeitsmythen so präzise, er verweist auf die Irrealität der Bilder. Sie repräsentieren weder echte Frauen noch Gedanken echter Frauen, sondern männliches Begehren und Wünsche. 

Welche konkreten Bilder haben sich nun aber durchgesetzt? Und warum konnten genau diese über einen so langen Zeitraum bestehen? Schließlich haben sich die Vorstellungswelten und somit auch die Vorstellungen von Weiblichkeit und Geschlechterdifferenz in den Epochen stark verändert. Ausgehend von diesen Fragen möchte ich ein paar sehr prominente und bis heute tradierte Weiblichkeitsmythen aufgreifen. Taylor Swift singt in ihrem Song Lavender Haze “The only kinda girl they see is a one night or a wife” – die Frau kann nur Ehefrau oder Prostituierte sein, Madonna oder Eva, Heilige oder Hure. Dieses Phänomen ist unter dem Namen Madonna-Hure-Komplex geläufig. Und eigentlich, wie Bovenschen schreibt, soll die einzelne reale Frau dem Mann alles zugleich sein: “Geliebte, Kameradin, Vamp und Mutter” (S. 53). Die breitgefächerten männlichen Vorstellungswelten setzen zugleich die Messlatte für reale Frauen unerreichbar hoch. Das Bedrohliche an diesen Mythen liegt ebenfalls in den groben Verwischungsgesten im Zwischenraum von lebenden und imaginierten Frauen: Zwar haben all diese Bilder erschreckend wenig mit realen Frauen zu tun, diese “wurden jedoch als Hexen verbrannt”, wie Bovenschen es drastisch zum Ausdruck bringt.


Auch der Mythos der Frau, präziser der Mutter, als Anfang und Ende allen Lebens findet sich bis heute in unserer Alltagssprache. Diese ist überhäuft mit Naturmetaphern, die die Gleichung Weiblichkeit = Natur (re-)produzieren: Mutter Natur, Fruchtbarkeit, Empfängnis, florale Motive des Blühens, Gedeihens, Öffnens. Hier geht es natürlich immer wieder um die Frau als Gebärmaschine, als der Ursprung des Lebens – doch auch das Gegenteil dessen wird dem Weiblichen zugeschrieben: das Sterben. Die psychoanalytische Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen legt in einer ästhetisch-kulturgeschichtlichen Untersuchung der weiblichen Leiche dar, dass die Frau zur Metapher schlechthin für das Sterben und den Tod wird. Das funktioniere ihr zufolge nur, da die Frau in einer Differenzlogik als das Andere zum Mann gesetzt und somit der Tod der Frau als der Tod des Anderen, ergo als Überleben des Mannes gelesen wird. Die schöne Inszenierung des weiblichen Todes geht mit dem männlichen Unsterblichkeitswunsch einher. Um diesen zu erfüllen, erleben weibliche Figuren erschreckend häufig ihren grandiosen und erotischsten Moment in ihrem Tod. 

Ich möchte für eine weitere These bei der psychoanalytischen Literaturtheorie bleiben; wir haben bereits festgestellt, dass sowohl die Hure als auch die Hysterikerin und die Femme Fatale Geschöpfe des Mannes sind und sehr wenig mit tatsächlichen Frauen zu tun haben. Insofern sind diese Bilder nur das Echo des Mannes und bleiben selbst unbeschriebene Projektionsfläche. Sie ist das Auffang- und Sammelbecken für all das, was der Mann abwehren möchte, was er nicht sein will oder kann – das Verbotene, Verpönte, auch das Utopische. Hier legt er seine “Ängste, Wünsche, Sehnsüchte und Begierden – sein Nichtgelebtes” ab, wie Rohde-Dachser schreibt. Kein Wunder also, dass schaurige, bedrohliche und unschöne Bilder der Frau derart präsent sind. Salome, die den Kopf von Johannes dem Täufer verlangt. Medusa, deren Blick alle zum Erstarren bringt. Eva, der Inbegriff der Sünde. 


Doch nicht Medusa oder Salome sind brutal, sondern die Gewalt, die allen weiblich gelesenen Personen mit diesen Mythen zugefügt wird. Die Frau wird sinnbildlich unbeweglich und stumm gemacht; ihre Schönheit in künstlerischen und literarischen Darstellungen ihres Todes konserviert, sie wird zur Metapher, zum Zeichen, zum Strich degradiert. Sie ist, wieder einmal, passive Empfängerin, Leerstelle, Lücke, die mit männlichen Fantasien aufgefüllt wird. 


Literatur: 

Silvia Bovenschen: Die imaginierte Weiblichkeit

Elisabeth Bronfen: Over her dead body

Judith Butler: Gender Trouble

Christa Rohde-Dachser: “Expedition in den dunklen Kontinent. Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse”.

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