OdeandenRausch

Sex, Drugs & Rock 'n' Roll – Ode an den Rausch


Lilly | 08.11. 2022

Wir kennen es alle: Es wird Herbst, die Tage werden kürzer, die Stimmung sinkt mit den Temperaturen. Draußen ist es grau – in diesem Jahr kommt zum dritten Mal das Wissen um die Pandemie und zum ersten Mal die Sorgen aufgrund von Krieg in Europa, Inflation, Energiekrise dazu. Wie kann ich abschalten, mal ganz bei mir sein, die Welt sich drehen lassen? Neben “entschleunigenden” Beschäftigungen wie Spazieren, Töpfern oder Puzzeln gibt es auch ungesunde Wege, sich auszuklinken, die vielleicht nicht in jedem Coffeetable Magazin und Achtsamkeitsblog empfohlen werden: Rausch.

Disclaimer: Mir ist bewusst, dass Alkohol eine gefährliche Droge mit gesundheitsschädigender Wirkung ist und ich möchte mit diesem Text keinesfalls zum Konsum anstiften oder dessen Folgen verharmlosen. Ich finde auch, dass es durchaus zu hinterfragen gilt, welchen Stellenwert er in unserer Gesellschaft hat. In diesem Text werde ich mich vor allem der Frage widmen, was den Rausch trotz seiner Gefahren so attraktiv macht.

Mit Rausch meine ich nicht einfach Besäufnis, auch wenn das natürlich darunter fällt. Vielmehr geht es um einen Zustand der Weltvergessenheit, Ekstase, oder auch des völligen Abschaltens, wo sich alle Aufmerksamkeit der körperlichen Empfindung widmet. (s. Definition oxford languages). Rausch kann also vieles sein, je nach Definition durch Substanzen wie Drogen, Kaffee oder Adrenalin hervorgerufen, oder aber im übertragenen Sinn ein großes Glücksgefühl – und oft hängen diese beiden Ebenen auch eng zusammen. 


Viele meiner verrücktesten und besondersten Erfahrungen habe ich dem Rausch zu verdanken. Für eine Person, der es schwerfällt, Kontrolle abzugeben und die Dinge einfach mal laufen zu lassen, können ein paar Bier der Schlüssel zu einer neuen Welt sein. Einer Welt, in der ich nicht überlege, ob der Witz gut ankommt und ihn deshalb nicht mache oder ob es blöd aussieht, wenn ich tanze. Rausch kann befreien, bringt Menschen zusammen, verbindet. Manchmal lerne ich Menschen kennen, bei denen ich sicher bin, dass ich in einem anderen Kontext niemals mit ihnen zu tun haben wollen würde, aber wir verstehen uns auf der Ebene, auf der es nur um die Suche einer guten Bar zum Weiterziehen geht.

Nun wird häufig kritisiert, es ginge bei Alkohol ums bloße Saufen – also sich “ohne Grund” und oft auch ohne Genuss die Lichter auszuknipsen (Spannend, dass Genuss dann irgendwie eine Legitimation ist). Bei Teenagern geht es möglicherweise besonders um das Austesten von Grenzen sowie darum,Tabus zu brechen – aber brauchen wir das nicht alle mal? Der Alltag verlangt uns genug sozialen Gehorsam ab. Und gerade junge Menschen sollte angesichts politischer Krisen und drohender Klimakatastrophe ein bisschen Eskapismus wirklich vergönnt sein, sofern das Ganze mit dem Jugendschutzgesetz vereinbar ist. Dass solche “Ventile” oft ungesunde Züge haben, ist meiner Meinung nach Teil der Sache: Wir wissen, dass es schlecht ist. Und genau das macht es wieder so interessant.


Erst neulich veröffentlichte die SZ wieder mehrere Beiträge darüber, wie schädlich Alkohol ist, dass es reine Schönrederei wäre, zu behaupten, in Maßen wäre er der Gesundheit sogar zuträglich. Letztendlich wäre es besser, gänzlich darauf zu verzichten. Nun, kaum einer Person ist das neu, wir verdrängen es halt gern. Denn auch, wenn das individuell unterschiedlich sein mag, letztendlich wäre es entgegen vieler Predigten à la “man kann auch ohne Alkohol Spaß haben” nicht dasselbe, würde man beim Feiern gänzlich auf Rauschmittel verzichten. Es geht ja genau darum, über die Stränge zu schlagen, aus sich herauszukommen, die Kontrolle abzugeben. Aus Alltags-Normen auszubrechen, sich mal weniger Gedanken zu machen. Nicht ohne Grund ist es so leicht, in einer Party- Nacht mit Fremden ins Gespräch zu kommen, nicht ohne Grund erlebt man im Rausch Dinge, die der Alltag nicht hergibt: Weil man über sich hinauswächst, Grenzen ausdehnt und loslässt. 

Die Bundeszentrale für politische Bildung hierzu schreibt, wie präsent Drogen und Rausch schon immer in Gesellschaften waren: “Wann immer Menschen aus der sozialen Ordnung fallen, waren Drogen schlimmstenfalls ein Katalysator, selten bis nie aber der eigentliche Grund.” Rausch durch Rausch quasi. Und Gründe für Rausch muss es in meinen Augen keine geben, das Leben hält in all seinen Facetten genug Anlass bereit. 

Zu schließen, alle seien einfach nur zu verklemmt, halte ich für falsch; bedingungslos im Jetzt zu leben und Probleme außen vor lassen zu wollen, finde ich absolut gerechtfertigt und in unserer Welt völlig normal.

Es ist durchaus schade, dass es in unserer Gesellschaft nicht möglich scheint, auch im nüchternen Zustand offen und neugierig auf andere Menschen zuzugehen, sich zu öffnen, Scham und Peinlichkeit außen vor zu lassen. Aber ganz ehrlich, ich glaube, das ist in unserer Welt auch einfach normal. Zu schließen, alle seien einfach nur zu verklemmt, halte ich für falsch, auch, wenn das auf manche vielleicht zutreffen mag. Das Bedürfnis, bedingungslos im Jetzt zu leben und Probleme außen vor zu lassen, finde ich absolut gerechtfertigt. Das  kann eben nicht bei allen so einfach durch eine Runde Stricken vor dem Fernseher gelöst werden. Dass Exzess als einziges Ventil zur Problembewältigung und vollständiger Ersatz von Gesprächen, Selbstreflexion oder Therapie genutzt wird, ist natürlich genauso fraglich, wie ihn per se zu verurteilen. Aber das Spiel mit der Gefahr, mit dem Tod, wenn man so will, diese Roulette-Partie, die man mit dem Leben spielt, ist für viele sicherlich ausschlaggebend für den Spaß: Weil es uns an unsere eigene Endlichkeit erinnert. Daran, dass das Leben eben besonders schön ist, weil zu den Höhen unabdingbar Tiefen gehören – so auch zum Risiken zum Rausch. 


Um aber zum Abschluss ein wenig den Pathos und das Drama zu reduzieren: Es gibt natürlich auch andere Wege, sich zu berauschen, und das ganz ohne Drogen. Ob das Tanzen,  Sport oder Achterbahnfahren ist, ist sicher individuell. Wenn ich die Welt und mich selbst vergessen möchte, ist Sex für mich neben Feiern die Methode der Wahl. Hier kann ich frei sein, loslassen. Die Rollen und Dynamiken, die zwischenmenschlich meinen Alltag bestimmen, können bewusst überwunden werden. Fühlen löst das Denken ab, die Nähe verwandelt Sorgen und Ängste in wohlige Wärme. Was auch immer also das persönliche Ventil ist – Rausch ist dabei völlig normal.

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