The Witches of Westend - Interview mit Pola Dobler

Petra | 13.12.2025

Die Musikerin und Sängerin Pola Dobler wurde 1986 in Dachau geboren und wuchs in Augsburg auf. Seit ihrem fünften Lebensjahr spielt sie Klavier, mit sechs Jahren begann sie, eigene Stücke für Klavier und Gesang zu komponieren. Sie sang viele Jahre im Chor und gründete 2013 in München ihren ersten Frauenchor, The Witches of Westend, für den sie alle Stücke selbst arrangiert und größtenteils selbst komponiert. Zehn Jahre später folgte die Gründung des Mystic Choirs mit über 50 Mitgliedern. Zudem ist sie Sängerin und Pianistin der Münchner Band Su Yono, deren Debütalbum 2024 beim Münchner Label Trikont erschienen ist. Wir haben Pola zum Interview getroffen.


Foto: Sophie Wanninger

Hallo Pola! Mit den Witches hast du den ersten feministischen Chor hier in München gegründet, oder?

Ob es der erste feministische Chor war, weiß ich nicht, aber es war auf jeden Fall noch vor dem großen Chor Hype. Chöre hatten für mich oft so ein angestaubtes, spießiges Image - wir haben die meiste Zeit Prosecco getrunken, geraucht und dabei ein bisschen gesungen. So waren zumindest die Anfänge. Kurz nach uns haben sich dann auch z.B. der Münchner Kneipenchor und viele andere Chöre in diese Richtung gegründet. Weg von sterilen Seminarräumen eher hin zu alternativeren Kulturorten, Wohnzimmern oder Kneipen.


Wann hat das angefangen mit dem Singen bei dir und deiner Liebe zum Chor? 

Ich habe schon immer das Singen geliebt – besonders das mehrstimmige. Seit ich denken kann, haben meine Mutter und meine Oma mit mir das Große Liederbuch (illustriert von Tomi Ungerer) rauf und runter gesungen. Insgesamt komme ich aus einer sehr musikalischen Familie. Das hat mir auf jeden Fall in die Karten gespielt. Mit dem Chorsingen habe ich in der dritten Klasse begonnen, und am musischen Gymnasium war der Chor dann zweimal pro Woche Pflicht.

Das Repertoire aus dieser Schulzeit hat meine musikalische Entwicklung entscheidend geprägt – etwa die Matthäus-Passion oder das Weihnachtsoratorium von Bach. Selbst wenn man mich nachts um drei wecken würde, könnte ich so ziemlich jedes dieser Stücke ohne Zögern auswendig aus dem Stegreif singen.


Wie bist du dann darauf gekommen, einen Chor zu gründen? 

Ich fand eben vor allem mehrstimmiges Singen schon immer unfassbar schön und rührend – ähnlich wie melancholische Blasmusik, die mich ebenfalls sofort trifft. Nachdem ich mehrere Jahre in Berlin gelebt hatte, ohne in einem Chor zu singen, war für mich klar, dass ich in München unbedingt wieder damit anfangen möchte.

Ich habe mir verschiedene Chöre angeschaut, hatte aber keine Lust, mich auf ein einziges Genre festzulegen. Ich wollte keinen Chor, der sich nur auf Volkslieder, Kirchenmusik oder Gospel beschränkt. Auch auf die klassischen Popsongs hatte ich keine Lust. Also habe ich einfach meinen eigenen Chor gegründet.


Du hattest keinerlei Ausbildung - wie findet man da das Selbstbewusstsein zu sagen: “Ich gründe jetzt einfach selbst einen Chor”?

Das Singen und Klavier spielen war das Einzige, wo ich immer selbstbewusst sagen konnte: “Ja, da  habe ich eine Begabung und bin gut darin." Durch die beiden musischen Gymnasien in Augsburg und München und langen Klavierunterricht hatte ich natürlich auch ein gewisses Verständnis von Musiktheorie.

In der Schule war ich an sich eher schlecht und nicht besonders ehrgeizig. Ich hab das Gymnasium irgendwann abgebrochen und mein Abi letztendlich auf dem zweiten Bildungsweg in Berlin nachgeholt. Also ich war nicht so der Typ „Hier bin ich“. Dass das mit dem Chor bzw. den Chören so gut funktioniert, hatte ich anfangs nicht erwartet.



"Ich wollte einen Safe Space für Sängerinnen haben, wo man sich alles trauen kann, sich nicht schämen muss und eine Art musikalisches Selbstbewusstsein erlangt"


Wie bist du dann vorgegangen? Und warum nur Frauen?

Ich habe damals eine Rundmail an ein paar Freundinnen und Bekannte in München geschrieben, ob sie Lust hätten, sich ab und zu in meinem Wohnzimmer zu treffen und gemeinsam zu singen. So viele Frauen kannte ich zu dem Zeitpunkt auch gar nicht in München. Aus meinem Freundeskreis waren die meisten Männer. Alle haben direkt gesagt: “Ich bin dabei”.  Viele hatten zu dem Zeitpunkt noch nie in einem Chor gesungen. Ich wollte einen Safe Space für Sängerinnen haben, wo man sich alles trauen kann, sich nicht schämen muss und eine Art musikalisches Selbstbewusstsein erlangt bzw. zurückerlangt. Das habe ich irgendwie mit Männern nicht gesehen.


Wow, und wie ging es dann los?

Das erste, was wir gesungen haben, war "Leaving on a Jet Plane" von John Denver. Ich dachte, das kennen alle und wir können easy dreistimmig starten. Ich war ganz enthusiastisch und blauäugig. Natürlich hat es überhaupt nicht funktioniert. Die wenigsten hatten Gesangs- oder Chorerfahrung. Es war klar: Das, was ich mir in meinem Kopf zusammengedacht habe, funktioniert überhaupt nicht.


Aber du hast nicht aufgegeben.

Nein. Anfangs war ich etwas desillusioniert, weil ich am liebsten sofort loslegen und gleich ein paar Videos auf YouTube veröffentlichen wollte. Stattdessen musste ich quasi bei Null anfangen und erst einmal leichtere Stücke finden. Also habe ich viele Kanons und einfache Lieder herausgesucht – alles, was ich noch aus meiner Kindheit und Schulzeit kannte.


Sowas wie
  Hejo Spann den Wagen an?

Genau – oder Lieder, die wir früher immer in der Familie gesungen haben, wie Horch, was kommt von draußen rein, Abendstille oder Dona nobis pacem. Auch Jodler haben wir relativ früh gesungen. Lustigerweise landeten wir damit plötzlich genau bei Volks- und Kirchenliedern. Für die anderen waren diese Stücke völlig neu, für mich dagegen gehörten sie zum Familienrepertoire. So haben wir im Grunde ganz klassisch und sehr basic von vorne angefangen.


"Lange Zeit waren wir einfach eine lustige

Prosecco-Runde –

in unserem Freundeskreis wurden wir jahrelang nur 'Prosecco-Chor' genannt."

Wie lange hat das dann gedauert, bis ihr etwas gut einstudiert hattet? Und ist die Besetzung noch die gleiche?

Lange Zeit waren wir einfach eine lustige Prosecco-Runde – in unserem Freundeskreis wurden wir jahrelang nur „Prosecco-Chor“ genannt. Was wir da eigentlich genau machten, hat von außen niemand so richtig mitbekommen.

Über die Jahre hat sich der Chor natürlich enorm weiterentwickelt. Mittlerweile brauchen wir für einen neuen Song nicht mehr Wochen, sondern eher ein paar Stunden. Die Urbesetzung ist tatsächlich fast unverändert geblieben; zusätzlich sind über die Jahre einige neue Sängerinnen dazugekommen. Gestartet haben wir damals zu acht, inzwischen sind wir 16. Dass wir öffentlich auftreten, war ursprünglich nie geplant. Ich wollte weder den Chor noch mich selbst unter Druck setzen und immer nur von Auftritt zu Auftritt proben. Außerdem musste auch ich mich zunächst in Chorleitung weiterbilden und mich mit Gesangstechniken auseinandersetzen. Der Chor musste sich erstmal finden.


Mittlerweile tretet ihr auf und es ist doch sehr ernst. Wann kam der Switch, dass ihr es dann doch wissen wolltet?  

Tatsächlich kam die Corona-Pandemie und die Chöre waren die ersten aus der Kultur- und Musikszene, deren Treffen quasi sofort verboten wurden. Erst da haben wir alle gemerkt, wie schlimm das ist und was für ein wichtiges soziales Netzwerk damit wegbricht. Matthias Stadler (TAM TAM) hat damals die großartigen Kultur-Stadtspaziergänge durch München gestartet. Das war die erste Gelegenheit, während Corona, sich draußen zu sehen, also habe ich beschlossen: Wir machen unseren ersten Auftritt auf so einem Stadtspaziergang. Vorbereiten konnten wir uns nur über Zoom. Erst am Auftrittstag selbst haben wir uns das erste Mal nach langer Pause gesehen. Das war irgendwie der Start für alles. Ich hatte schwarze Schleier gekauft, die wir uns über den Kopf gehängt haben, wir trugen blinkende LED Augenlider, die über den Wimpern befestigt waren und es gab viel Nebel aus der Nebelmaschine. Wir haben da ein richtiges Spektakel draus gemacht und die Leute fanden es natürlich mega, es war Corona, man fand eh alles geil, was draußen passiert ist. 

Seit diesem ersten Auftritt gestalten wir unsere Outfits und Accessoires immer nach den jeweiligen Auftritten bzw. Veranstaltungen, auf denen wir singen. 


Und so wurden aus dem Prosecco-Chor die
  Witches of Westend

Den Namen “Witches of Westend” haben wir uns ehrlicherweise nicht selbst gegeben. Ich hatte in der  Cucurucu Bar aufgelegt und Tobi Tzschaschel hatte mich als “Chorleiterin der Witches of Westend” angekündigt. Ich fand den Namen cool. Wir haben jahrelang nach einem gesucht und endlich war er da.


Gibt es denn auch einen inhaltlichen Bezug zu Hexen?  

Anfangs war es einfach ein lustiges Wortspiel, aber im Laufe der Zeit gewann die Hexe zunehmend an Bedeutung in unseren Songs und unserer Choridentität. Als wir bei der Eröffnung vom Brechtfestival 2023 in Augsburg gesungen haben, haben wir erstmals ein ganzes Set den “Witches” gewidmet. 


„Grundsätzlich arrangiere ich alle Songs selbst und komponiere auch zunehmend immer mehr eigene Songs. “

Wie läuft das denn für gewöhnlich bei der Repertoiresuche, macht ihr eine demokratische Abstimmung? Oder suchst du die Sachen aus, weil du einen Plan hast, was passen und stimmlich gut funktionieren könnte? 

Eher Letzteres. Oft höre ich relativ schnell, ob der Song einer Band oder Künstler*in für den Chor funktionieren könnte oder nicht. Grundsätzlich arrangiere ich alle Songs selbst und komponiere auch zunehmend immer mehr eigene Songs.  Wir haben auch ein Text-Team, das zu Eigenkompositionen tolle Songtexte schreibt. Ich liebe aber nach wie vor auch Cover. Die werden also weiterhin Bestandteil unserer Setlist bleiben. Und wir haben eine gemeinsame Chorplaylist, in die jede Songs hinzufügen kann, die zum Chor passen könnten. Auch daraus ziehe ich neue Inspiration.


Was war bisher euer wichtigster oder prägendster Auftritt? 

Vermutlich die Eröffnung des Brechtfestivals in Augsburg. Da waren wir auf der Parade eingeladen. An sich war das ein total kurzer Auftritt. Aber für uns war der ultra wichtig: Es war das  erste Set, das komplett selbst komponiert war, ohne Coversongs. Aber auch die Walpurgisnächte, die wir im ZIRKA veranstaltet haben, waren legendär. Dann das Good Sister Bad Sister Festival, wo ich eine Art Super-Witches Group mit Gastsängerinnen und den Witches zusammenstellen durfte. Nach diesem Auftritt haben viele von uns geweint, weil es so emotional und schön war.


Das klingt nach einer extrem zeitaufwändigen Arbeit! Wie viel investierst du da wöchentlich? 

Schon viel. Meist nehme ich mir den Sonntag als festen Kompositions- und Arrangiertag vor und sitze da schon mal ein paar Stunden am Klavier, auch, wenn ich eigentlich sehr schnell bin - so einen ganzen Song ein bisschen besonderer zu arrangieren, das dauert einfach.

Ich könnte es mir natürlich auch leicht machen und bestehende Arrangements nutzen. Aber dann bin ich halt auch bei den Songs, die ich sowieso nicht machen will. Ich habe schon den Anspruch, wenn man ein Stück covert, es ein bisschen besonders zu machen. Es soll nicht zu bekannt sein und gern auch mit female Kontext. Man wird zum Beispiel keinen  Adele-Song von uns hören und das nicht, weil ich sie musikalisch nicht schätze, sondern die Songs zu mainstream für uns sind bzw. schon genug von anderen Chören interpretiert werden.


Was ist im Moment dein Lieblingssong für den Chor?

Puh, das ist schwierig. Gerade bereiten wir uns auf unser erstes Solokonzert in den Kammerspielen vor und es gibt einen neuen eigenen Song, zu dem ein Freund den Text geschrieben hat. Auf den freue ich mich sehr und habe ihn die ganze Zeit als Ohrwurm. Bei Cover Songs haben wir einige All Time Favorites wie “When the sun don’t shine” von Bestcoast oder “Timothy Gone” von Margo Guryan oder auch “I go to sleep” von den Kinks. 


Wie sieht euer Probenalltag aus und was bringt die Zukunft für die Witches? Habt ihr schon weitere Highlights in nächster Zeit?

Aktuell verbringen wir sehr viel in unserem Proberaum für genanntes Solokonzert in den Kammerspielen am 20.12.2025. Prosecco trinken wir nicht mehr so viel. Zumindest während der Proben. Es ist alles deutlich professioneller und strukturierter geworden. Das hat natürlich auch mit den vielen tollen Auftritten zu tun. Es gibt gar nicht mehr so viele Proben, in denen wir einfach mal abhängen. Das vermisse ich tatsächlich manchmal auch. Zumindest nach den Auftritten wird aber meistens lange und ausgiebig gefeiert. Wir sind auf jeden Fall eine sehr vertraute und enge Gang, die auch außerhalb des Chors sehr verbunden ist. Wir unterstützen uns, teilen Sorgen, Freuden, Geheimnisse, Liebeskummer, Running-Gags und Partys. Reibereien gibt es selten. Wir sind alle sehr harmonisch, auch wenn wir auf vielen Fotos so ernst schauen. 

Highlights für nächstes Jahr stehen bereits in den Startlöchern und es kommen hoffentlich noch viele dazu.


Vielen Dank für das Gespräch!


Mehr zu den  Witches of Westend findet ihr   hier.