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Lasst uns unsere Identitäten

Luca Lang | 05.07.21

Disclaimer: Features vertreten nicht unbedingt die Meinung des BUUH!-Teams, sondern dienen dazu, Gastautor*innen eine Plattform zu Themen zu liefern, die sie bewegen.


Da war er wieder, der Juni. Der Monat, in dem ein Teppich in Regenbogenfarben ausgerollt wird. Er legt sich über die Social Media Seiten fast aller großen Unternehmen, er wird auf Cremes und Mundspülungen in Supermärkten gedruckt, er hängt in Form von Fahnen an Trambahnen und vor Parteizentralen und er eignet sich so wunderbar, alles unter ihn zu kehren, was queere Menschen jeden Tag ertragen müssen.

Ich möchte hier nicht erklären, dass es bei Firmen meist mit dem Pinkwashing an sozialem Engagement getan ist, dass das Ganze nur Teil einer riesigen Marketing-Maschinerie ist. Das wird jedes Jahr mindestens so oft getan, wie unsere Instagram-Feeds in Regenbogenfarben erstrahlen. Ich möchte erzählen, was der Regenbogen bedeutet und wie er von Kapital- und Populist*innen okkupiert wird, wie er durch die sozioökonomischen Strukturen entwertet und damit dessen Symbolkraft getilgt wird, wie er durch die neuen Reaktionären zu einem Symbol eines neuen Feindbildes stilisiert wird. 

Die Geschichte des Regenbogens ist eine Geschichte des Ekels. Das Gefühl des Ekels entspringt aus dem Wissen um die eigene Natürlichkeit - die eigene Vergänglichkeit und aus dem Nicht-Einverstanden sein mit dieser. Menschen projizieren ihren Ekel auf die Personen, welche für sie in ihrer vermeintlichen Unreinheit und sexuellen Freiheit jene Natürlichkeit repräsentieren, so die Philosophin Martha Nußbaum. Es ist keine Phobie, keine Feindlichkeit, kein Hass, welcher LGBTQI*-Personen entgegengebracht wird, es ist Ekel. Und mit der Projektion des Ekels werden sie entmenschlicht. Der Regenbogen ist ein Zeichen für das Aufstehen gegen dieses Gefühl. Ein Symbol für den ersten Stein, der am 28.06.1969 vor dem Stonewall Inn flog und für den Kampf gegen eine Krankheit mit dem Namen AIDS, die eine ganze Generation queerer Menschen dahingerafft hat und in deren Tödlichkeit der projektive Ekel manifest worden ist.

Indem man sich aber den Ekel in bunten Farben auf die Stirn schreibt und ihn für sich beansprucht, nimmt man ihm seine Klinge und befreit sich (für sich) von ihm, weil man ihn nicht mehr allein ertragen muss. Diese Befreiung habe ich erlebt, als ich das erste Mal auf einer Pride-Demo war.  Jede*r, der sich dort feiert, feiert auch alle anderen, jede*r der sich dort zeigt, zeigt auch alle anderen nach außen und jede*r, der dort für seine Freiheit kämpft, kämpft auch für alle anderen.

Wenn jedoch Konzerne ihre Regenbogenkampagnen starten, nehmen sie LGBTQI*-Personen diese identitätsstiftenden Elemente weg und degradieren sie zu verkaufssteigernden Etiketten, die sie ihrer Marke anhängen. Unternehmen wie auch Parteien feiern sich auf dem Regenbogenteppich stehend für ihr vermeintliches Engagement. Sie beanspruchen queere Identitäten für sich, als Mittel zum Zweck. Gleichzeitig stabilisieren sie die patriarchalen und ökonomischen Strukturen, welche den Ekel reproduzieren. 

Diesen Strukturen ist jedoch ein sozialer Konformitätsdruck inhärent. Wenn nur vermeintliche Solidarität ausgesprochen wird, ohne dass die materiellen Verhältnisse verändert werden, bleibt ein Zwang zur Angepasstheit an die patriarchalen Normen. So zeigt sich dieser Druck beispielsweise dadurch, dass es in jüngster Zeit immer wieder Diskussionen (auch innerhalb der LGBTQI*-Bewegung) gibt, Kink und Fetisch – als Teil sexueller Freiheit und Selbstbestimmung schon immer verbunden mit der LGBTQI*-Bewegung – von Pride-Veranstaltungen zu verbannen. Doch gerade die Unterordnung unter ein patriarchal konstruiertes Konformitätsregime raubt den Moment der Selbstbefreiung vom Ekel.

Ebenso wie queere Identitäten ausgenutzt werden, um Profite zu generieren, haben auch konservativ reaktionär geprägte Gruppen begonnen, diese Identitäten zu okkupieren, um Wähler:innenstimmen zu generieren. Das Feindbild „Ausländer:innen“ reicht nicht mehr aus, um das von ihnen erbaute nationalistisch-patriarchale Wertegebäude, als Basis einer Imagination von Gemeinschaft zu stabilisieren. Sie machen den Ekel wieder stark. Sie konstruieren ein neues Feindbild, welchem sie vorwerfen, die Kinder und Jugend zu verunsichern, ihre Sprache zerstören zu wollen und Identitätspolitik zu forcieren.


Jedoch sind es diejenigen, die diesen Vorwurf so laut in die Welt rufen, die mit den Identitäten von LGBTQI*-Personen Identitätspolitik betreiben, indem sie diesen Menschen ihre Identitäten rauben, um sie für ihre Zwecke zu nutzen. Dieses Feindbild findet seine konkrete Darstellung mitunter in scheinbar einfachen Satzzeichen; ein Sternchen oder ein Doppelpunkt, welche für all die stehen, die sich nicht in ein binäres System geschlechtlicher Identitäten einordnen können und die das generische Maskulinum mit Sicherheit nicht mitmeint. Und auch wenn es vordergründig um eine kleines Symbol geht, so können doch die Begrifflichkeiten, die als nicht sichtbare Fußnote des Sternchens stehen, als Worte genauso befreiend sein wie das Symbol des Regenbogens.

Gleichzeitig wird die Existenz von nicht-binären Geschlechtsidentitäten von Personen, deren Bild von der Diversität der Welt im Gegensatz zu einer Steuererklärung auf einen Bierdeckel passt, einfach negiert. Stellen Sie sich vor, sie stehen als junge Person vor dem Spiegel und Sie verstehen nie ganz, was Sie sehen. Sie tragen Klamotten, die nicht dem sozialen Konformitätsregime in Bezug auf das Ihnen bei der Geburt zugeschriebene Geschlecht entsprechen, weswegen tagtäglich der Ekel auf Sie projiziert wird, und dann finden Sie ein Wort; ein Wort, welches hilft das zu bezeichnen, wie Sie sich fühlen; ein Wort, das Ihnen zeigt, dass Sie damit nicht alleine sind; ein Wort, mit dem Sie sich von dem Ekel befreien können.

Es ist nicht viel, aber lasst uns unsere Symbole, unsere Begrifflichkeiten, unsere Farben. Lasst uns unsere Identitäten.

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