Que sera 2 wettbewerb

Weniger Wettbewerb, bitte! Warum Erfolge nicht daraus bestehen sollten, Menschen hinter sich zu lassen. 

Alissa | 31.03.2022

Der Doping-Skandal um die russische Eiskunstläuferin Kamila Walijewa bei den olympischen Winterspielen 2022 entfachte bei mir als ehemalige Eiskunstläuferin große Gefühle. Verbissenheit, Konkurrenz und der schmale Grat zwischen Sturz und Erfolg spiegeln dabei auch ein Stück weit die Leistungsgesellschaft abseits des Sports wieder. 

Eine Kür, drei Minuten, höchste Leistung auf dem Eis. Um bei großen Meisterschaften Erfolge verzeichnen zu können, müssen Eiskunstläufer:innen mit eiserner Disziplin ihren Körper in Höchstform bringen. Wie ich damals, beginnen die meisten Läuferinnen mit drei Jahren. Es folgen früh die ersten Wettbewerbe, für die regelmäßig trainiert wird. Wer erfolgreich sein will, muss dem Sport bereits ab fünf Jahren alles widmen.

Als Eiskunstläufer:in muss alles möglichst tänzerisch, grazil und leicht aussehen. Doch für diese Sportart ist höchste körperliche Anstrengung nötig. Deshalb ist sie nicht nur schön, sondern auch streng, diszipliniert und vor allem eins: einsam. 

 

Für mich als politisch links eingestellte Person ist es deshalb seltsam, dass ich es immer noch liebe, eine solch harte Einzelsportart anzuschauen. Doch ich sehe darin mittlerweile mehr als nur einen Sport - ich sehe darin, inwiefern die Doktrin während meiner Eiskunstlaufkarriere zu einem Mantra wurde, das viele Menschen auch außerhalb des Sports belastet: Noch schneller, höher und weiter kommen, alle anderen hinter sich lassen auf der Karriereleiter. 

 

Wie bei der russischen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa wird dafür sogar in Kauf genommen, dass Substanzen eingenommen werden, die uns schnell wieder fit machen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Eine Fünfzehnjährige, die das Herzmittel Trimetazidin (sehr wahrscheinlich unter Beeinflussung ihres Umfelds) zu sich nimmt, um besser zu sein als alle anderen, obwohl sie sowieso schon herausragend ist? Es ist nicht nur absurd - es ist pervers. Und das alles findet in einem bestimmten Rahmen statt: dem Wettbewerb. 

 

Im Kapitalismus wird immer wieder suggeriert, dass nur der Wettbewerb zu innovativen Erzeugnissen, zu besonderen Fähigkeiten oder Leistungen führen würde. Insbesondere im Sport ist der Wettkampf nicht wegzudenken. Dafür wird das eigene Wohlbefinden geopfert. Ausschließlich danach zu streben, anderen überlegen zu sein, macht sehr unglücklich. Es überfordert, es hinterlässt Narben, Schmerz und ständige Unzufriedenheit mit sich selbst. 

 

Im Eiskunstlauf wurde mir früh bewusst: Wenn meine Mitstreiterin in der Kür jetzt patzt, schaffe ich es noch aufs Treppchen. In mancher Wettbewerbssituation wünschte ich mir sogar den Misserfolg anderer herbei, eine schreckliche Missgunst. Denn der eigene Erfolg ist davon abhängig, dass andere scheitern. Für manche mag die Problematik hier nicht sofort ersichtlich sein, schließlich sei doch gerade das der Charme einer Wettbewerbssituation, in der es nunmal darum ginge, sich zu beweisen. 


Doch was aus einer solchen Einstellung resultiert, ist eine übermäßige Selbstkritik, weil der eigene Wert immer abhängig von
den anderen gemacht wird – von einer anderen Meinung, Leistung, Verhalten oder Sonstigem. Im Leistungssport sowie in einer Leistungsgesellschaft ist es enorm schwierig, sich unabhängig von anderen für die eigenen Erfolge zu feiern, sich selbst Anerkennung zu schenken. 


Wir stecken in einem lieblosen Miteinander fest, in dem es scheint, als wäre der einzige Ausweg aus der Unzufriedenheit, die eigene Perfektion und Produktivität ins Unermessliche zu steigern. 


Durchweg wird uns suggeriert, dass wir nur uns selbst und nicht einander brauchen, obwohl genau das einen endlosen Kampf mit sich selbst hervorruft. Wir sind dazu sozialisiert, uns dauernd mit willkürlichen Erfolgsmerkmalen anderer zu vergleichen. Am offensichtlichsten ist das bei Dingen, die wir besitzen. Wir können das eigene Zuhause, das Outfit, das Auto und vieles mehr miteinander vergleichen. Wer viel besitzt, ist besonders erfolgreich im Wettbewerb mit anderen gewesen.


In Wirklichkeit liegt der persönliche Erfolg aber nicht in der eigenen Leistung, sondern gerade darin, eigene Überlegenheitskomplexe abzubauen. Das zu lernen bedeutet, sich aus den Engen der Einsamkeit, der Wut und dem Leiden zu befreien. 


Eines ist klar: Das endlose Streben nach mehr macht nicht glücklich. Vielmehr müssen wir uns von Konkurrenzgedanken befreien, gerade in einer Welt, in der sich soziale Ungleichheiten und die Klimakatastrophe zuspitzen. Denn ganz einfach gesagt: In dieser Misere stecken wir nur, weil das reichste 1% der Bevölkerung die Ressourcen aus einem Wettbewerb zu anderen heraus für sich beansprucht. Sie vereinnahmen aus ihrer vermeintlichen Überlegenheit immensen Reichtum für sich. 

Zurück zu meinem Anfangsbeispiel: Ich hatte das Glück, dass ich den ersten Platz meiner Altersklasse bei den Bayerischen Meisterschaften im Eiskunstlauf erreichte, weil mein Erfolg in dieser Wettbewerbssituation aus dem Misserfolg einer anderen resultierte. Die vermeintliche Überlegenheit der „Leute, die es geschafft haben“, täuscht uns, denn eigentlich entstand diese häufig aus reinem Glück. Häufig können jene Menschen erst aufgrund ihrer privilegierten Position im Wettbewerb Erfolge und damit Reichtum erreichen. 

 

Lasst uns fragen: Was wird sein? Wir alle könnten eiskunstlaufen und wir könnten alle von den ausreichenden Ressourcen auf diesem Planeten leben, wenn wir nur aufhören würden, nach Überlegenheit unseren Erfolg zu definieren. Es gibt keine Knappheit, nur fehlt es uns daran, zu sehen, welche Konsequenzen aus dem Wettbewerb für die Verlierenden resultieren. Das Glück, nicht hingefallen zu sein, wird zum Erfolgsgarant. 

 

Nun blicke ich zurück auf eine Zeit, in der mich der Wettbewerb definierte und erkenne, dass es immer noch – nur etwas subtiler – so ist . Ich erkenne aber auch, dass ich heute nicht mehr daran glaube, alleine eine Leiter erklimmen zu müssen, um erfolgreich oder gar glücklich zu sein. Wir müssen und  sollten uns von dem Bedürfnis lösen, Bestätigung zu bekommen, in dem wir uns anderen überlegen fühlen. Wir können mit uns selbst und anderen in den Dialog treten und diese Belastungen hinterfragen. Und ein Schritt dazu kann es sein, die Auswirkungen des Konkurrenzkampfs nicht als individuelles sondern gesellschaftliches Problem zu identifizieren.



https://www.deutschlandfunkkultur.de/konkurrenz-die-kosten-des-wettbewerbs-100.html

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