Que Sera #3

Qué Será #3 - Mal wieder nur zum Gebären da

Karla | 12.05.22

Content Warnung: Suizid, Tod


Es ist circa 2014, und über den Fernseher im Wohnzimmer meiner Eltern flackert seit geraumer Zeit die Arztserie “Doctor’s Diary”. Die Komödie rund um Ärztin Gretchen Haase und ihre Romanze mit dem von Florian David Fitz verkörperten, machohaften Oberarzt Dr. Meier läuft bei mir gerade rauf und runter – trotz der inflationär eingesetzten Off-Stimme der Protagonistin vor melancholischer Popmusik, und den ziemlich fragwürdigen Messages. Mehdi Kaan, der charmante Gynäkologe, klärt Oberzicke Schwester Gabi gerade darüber auf, warum ihre Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch ganz und gar falsch ist. „Ein Kind ist Leben”, sagt er mit bedeutungsschwangerer Stimme, und lässt sich auch die Frage nach dem Vater nicht nehmen: „Woher wollen Sie denn wissen, dass er für eine Abtreibung gewesen wäre?”

Ein leiser Widerwille regt sich in mir, und das nicht nur, weil Mehdi Kaan meinem Favoriten Dr. Meier die Protagonistin streitig macht. Vielmehr kommt mir der Verdacht, dass da etwas nicht ganz mit rechten Dingen zugehen kann. Einige Folgen später erklärt Dr. Kaan einer Patientin, die für eine Abtreibung zu ihm kommt, dass er das nur sehr ungern mache – weil, er möge Kinder. Ob sie denn darüber nachgedacht habe und sich der Entscheidung bewusst sei. Darauf die Antwort der Patientin: „Wollen Sie’s für mich bekommen?”

Voilà, und da ist es: Das berühmte Unbehagen über bestehende Verhältnisse, das eine:n irgendwann befällt, und das nie wieder weggeht. Kann ja wohl nicht sein, denke ich, dass er sich da einmischt, als würden seine persönlichen Überzeugungen im Gespräch mit der Patientin eine Rolle spielen. Aber, das muss ich und jede:r andere im Laufe der Zeit feststellen: Das kann sehr wohl sein. Es passiert jedoch nicht nur in kitschigen RTL Serien, sondern in Wirklichkeit, und dort viel, viel schlimmer. 


Sechs Männer und drei Frauen sitzen gegenwärtig im US-amerikanischen Supreme Court, der
laut einem Bericht der Nachrichtenseite Politico gerade plant, das Recht auf Selbstbestimmung von Millionen Frauen und anderen gebärfähigen Menschen zu kippen. Wenn Roe vs. Wade (die im amerikanischen Gesetz verankerte Grundsatzentscheidung für ein Recht auf Abtreibung) fällt, könnten Dutzende Bundesstaaten Gesetze erlassen, die einen Schwangerschaftsabbruch erschweren oder komplett verbieten. Konservative Politiker:innen spekulieren schon seit längerer Zeit auf diese Entscheidung, was der Gesetzeserlass in Texas im September letzten Jahres zeigt: Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche wurden dort verboten, auch im Falle von sexualisierter Gewalt und Inzest greift die Regel. Privatpersonen ist es dort nun außerdem erlaubt, zivilrechtlich gegen Personen vorzugehen, die eine Abtreibung durchgeführt oder dabei geholfen haben.

Doch die USA sind nicht das einzige Land, dessen christlich-konservativistische Logik gerade alles untergräbt, wofür Frauenrechtsbewegungen seit Jahrzehnten gekämpft haben. Ein Twitter-Thread veranschaulicht, an wie vielen Orten der Welt ebendiese Logik um sich greift und Gesetze zugunsten der Ideologie radikaler „Lebensschützer:innen” (ein zynische Selbstbezeichnung) erlassen werden. Neben Ungarn, Brasilien, der Türkei und Russland ist Polen ein oft genanntes Beispiel. Das durch den rechtsnationalistischen Katholizismus geprägte Land verschärfte 2020 sein Abtreibungsgesetz noch einmal drastisch. Schwangerschaftsabbrüche sind in Polen nun auch im Falle einer Fehlbildung des Fötus verboten, eine Regelung, die bereits erste Todesopfer gefordert hat. So verstarb im Januar eine 37-jährige Frau an einer Sepsis, nachdem die behandelnden Ärzte sich geweigert hatten, den bereits abgestorbenen Fötus aus ihrem Bauch zu entfernen


Das Recht auf Abtreibung ist ein Menschenrecht. Das muss aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und aus den Freiheitsrechten hervorgehen, die allen Menschen zusichern, autonom über ihren eigenen Körper bestimmen zu dürfen. Doch auch abgesehen von jeglicher moralischen Komponente ist es ein Fakt, dass Abtreibungsverbote über die Befriedigung einer patriarchalischen und misogynen Ideologie hinaus absolut nichts verändern. Die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen verhindert ein Verbot nicht – den Zugang zu einem sicheren, von medizinischem Personal unter hygienischen Bedingungen durchgeführten Abbruch jedoch schon.
Jährlich sterben zehntausende Menschen an den Folgen illegaler Abtreibungen was die selbsternannten „Lebensschützer:innen” jedoch nicht zu interessieren scheint.

Auch in Deutschland ist die Lage alles andere als optimal. Zwar soll der vieldiskutierte Paragraph 219a unter der neuen Bundesregierung nun endlich gestrichen werden, der Ärzt:innen bisher verbot, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren (oder durch Informationen auf ihrer Website dafür zu „werben‟ - was auch immer das bedeuten mag), allerdings ist vielen Menschen nach wie vor gar nicht klar, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland de facto illegal sind. Laut Paragraph 218 des Strafgesetzbuchs wird jemand, der eine Schwangerschaft abbricht, mit bis zu drei Jahren Haft bestraft. Nur wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden, bleibt der Abbruch straffrei. So sind Schwangere zu einem Beratungsgespräch verpflichtet, das laut pro familia den Auftrag hat, „zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen”. Nach dem Gespräch muss eine Wartezeit von drei Tagen eingehalten werden, bevor der Abbruch durchgeführt werden kann – eine absolut sinnfreie Regelung, die Frauen unterstellt, keine klaren und eigenständigen Entscheidungen treffen zu können. Pro familia weist freundlicherweise auch noch einmal darauf hin, dass ein Schwangerschaftsabbruch kein routinemäßiges Verhütungsmittel ist, für alle, die das falsch verstanden haben. Als würde irgendjemand sich mit Freude regelmäßig einer Behandlung unterziehen, die nicht nur körperliche Schmerzen mit sich bringen kann, sondern auch dermaßen stigmatisiert und verteufelt wird. 

Überhaupt können sich Abtreibungsgegner:innen nicht wirklich entscheiden, was denn nun der Fall sein soll: Entweder führen legale Schwangerschaftsabbrüche dazu, dass Frauen sich non-stop Abtreibungspillen einwerfen (wie Smarties – um mal die Parallele zu Jens Spahns vielzitierter Aussage über die Pille danach zu ziehen), oder sie sind derart traumatisch, dass Frauen danach generell depressiv werden und an Suizid sterben. Keine von beiden Vermutungen ist auch nur ansatzweise zutreffend. Die Existenz eines „Post-Abortion-Syndroms”, an dem Frauen nach einer Abtreibung erkranken sollen, konnte trotz zahlreicher Studien nicht nachgewiesen werden. Im Gegenteil ist es selten die eigentliche Behandlung, die negative Gefühle in Betroffenen auslöst, sondern ein allumfassendes Stigma sowie die Notwendigkeit der Geheimhaltung und ein Mangel an Unterstützung aus dem sozialen Umfeld. Hinzu kommt die Schwierigkeit, einen Termin für eine Abtreibung zu bekommen: Die Zahl der Ärzt:innen, die in Deutschland Abtreibungen durchführen, ist seit 2003 um 46 Prozent gesunken

Die gegenwärtige Entwicklung in den USA und überall auf der Welt ist ziemlich beängstigend. Konservative und rechte Gruppierungen versuchen, unter der falschen Prämisse, der Wert des potenziellen Lebens sei höher als der des bereits existierenden Lebens, die Macht und Kontrolle über FLINTA-Personen wiederzuerlangen. Denn um das Leben ging es bei der angeblichen „Pro-Life”-Bewegung nie – vielmehr geht es darum, Frauen auf die Gebärfunktion zu reduzieren und nicht zuletzt für eine stetige Nachkommenschaft zu sorgen, deren Arbeitskraft  ausgebeutet werden kann.

Was sein wird, will man sich bei diesem Thema eigentlich gar nicht fragen. Es ist nur so, dass wir uns mit der unangenehmen Wahrheit konfrontieren müssen, um gegen sie anzukämpfen. Eine immer stärker werdende Rechte wird auch im angeblich so fortschrittlichen Westeuropa versuchen, mit ihrer Ideologie in unsere Köpfe und Privatsphäre einzudringen und eine Gebärpflicht einfordern. Das zu verhindern, stellt uns vor eine ziemlich große Aufgabe.

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