Que Sera 4

Flexibel oder Haltlos - Das Desaster mit unserer Arbeitsweise

Alissa | 07.07.22

Meine Generation ist es gewohnt, Zuschreibungen zu bekommen. Millennials werden gerne als “Digital Natives”, “Freelancer” oder “Generation bindungsunfähig” beschrieben, die sich möglichst viele Optionen offen halten wollen. Neben solchen Binsenweisheiten kursieren auch immer wieder Annahmen darüber, wir wären alle Freigeister und liebten das Freiberufliche. Wir arbeiten natürlich von überall und am liebsten dort, wo es eine Tischtennisplatte für die Mittagspause und kostenlose Club-Mate im Angebot gibt. Wir lieben Networking! Wir sind überall dabei, wenn es die Laune mitmacht - Safe!

Die Beschreibungen einer ganzen Generation und ihres unbeständigen Arbeitswegs lassen sich aber nicht auf die individuellen Präferenzen zurückführen. Es ist vielleicht einfach zu argumentieren, wir würden uns von Job zu Job hangeln, weil wir so rastlos sind und uns nicht festlegen wollen. Es ist simpler anzunehmen, wir seien ziellos, weil wir so viele Möglichkeiten haben oder verwöhnt sind. Eindeutig seltener wird realisiert, dass der Arbeitsmarkt eine enorme Unsicherheit mit sich bringt, spürbar prekärer und instabiler wird und uns dazu zwingt, von Angebot zu Angebot zu wechseln. 


Es muss der Tatsache ins Auge gesehen werden, dass bereits
im Studium 30 Prozent in Armut leben müssen, und deshalb häufig die nächstbeste Stelle annehmen. Innerhalb des Studiums verschulden sich zwei Drittel aller Studierenden. Die Verschuldung liegt beim Start ins Arbeitsleben im Durchschnitt bei 8.510 Euro. Wir stecken nicht nur während, sondern auch nach dem Studium in befristeten Anstellungen und Minijobs fest. Der durchschnittliche Millennial hat zwar einen Hochschulabschluss, doch die Arbeitsverhältnisse haben sich verschlechtert. In den letzten 30 Jahren haben sich die Anzahl an prekären Beschäftigungen mehr als verdoppelt. Das heißt: Schätzungsweise 14 Millionen Menschen in Deutschland haben ein unzureichendes Einkommen, um ihre Existenz langfristig abzusichern. 


In der aktuellen Wirtschaftslage wird das Leben teurer. Die Unternehmensgewinne, Mieten und Lebensunterhaltungskosten steigen ins Unermessliche, während sich bei den Löhnen gar nichts tut. Diese unsicheren Bedingungen, geringe Vorhersehbarkeit und eine permanente Situation der weltweiten Krisen bedeutet enormen Stress. Kaum verwunderlich, dass fast 20 Prozent der Studierenden von einer psychischen Diagnose betroffen sind,
wie Barmer GEK herausfand. In einer repräsentativen Umfrage einer Hamburger Personalvermittlung beklagten zwei Drittel aller Beschäftigten in ihren Mittzwanzigern psychischen Stress und Unwohlsein am Arbeitsplatz.


Ja, wir wollen gute Arbeitsplätze. Der größte Wunsch unserer Generation besteht darin, die Freude und Sinnhaftigkeit in der eigenen Tätigkeit wieder zu entdecken. Doch die wachsende Ungleichheit und die Ungerechtigkeiten, mit denen insbesondere FLINTA* und migrantisierte Menschen konfrontiert sind, machen es schwer, diesem Verlangen nachzugehen. Die Umstände erlauben es kaum, die gewünschte Rolle in der Gesellschaft auszuleben, wenn die Orte der Begegnung und Diskussion wegfallen. Während der Pandemie haben wir zu spüren bekommen, was langfristige Isolation mit uns macht: Sie schadet uns. Und wir haben gesehen, was passiert, wenn die sozialen Stützen, Bildung und Gesundheitssystem in einem Staat kaputt gespart werden. Wir kennen die Skandale aus den Krankenhäusern, der Fleischindustrie oder bei der Spargelernte, die uns zeigen, dass Arbeitsrechte schnell mal nur formal gelten.


Hierzu fiel mir sofort meine eigene Arbeitssituation im Homeoffice auf. Ich lernte meine Kolleg:innen bis heute, zwei Jahre später, nie wirklich kennen. Es wächst das Gefühl der Entfremdung. Und trotz der gegenwärtig abflauenden Auswirkungen der Pandemie, bleibt das Arbeiten von Zuhause aus im Trend. Laut der Unternehmensumfrage des Ifo-Instituts arbeiten knapp 25% in Deutschland im Homeoffice. Obwohl die Maßnahmen es nicht mehr verlangen, will jede:r sechste Beschäftigte im Home-Office weiterarbeiten, wie es die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage auf der Plattform Xing beschreiben.


Der Aspekt der Entfremdung findet selten Anklang in diesem Kontext. Die Diskussion um das Home-Office kreist um eine ständige Aufzählung der Pro-Contra-Argumente, die mir aber viel zu verkürzt vorkommt. Die einen finden Home Office so richtig super, sparen sich den langen Weg in die Arbeit mit dem Auto, während die anderen bemängeln, dass sie irgendwie doch gerne die Kolleg:innen sehen würden und ihre Konzentration sinkt. Die Debatte dreht sich dann häufig um individuelle Befindlichkeiten. Aus Sicht der Beschäftigten ist das Verhältnis zur Arbeit in den eigenen vier Wänden also durchwachsen. 


Wir können in so vielen Branchen bereits einen Trend sehen, der die Beschäftigten voneinander separiert. Allein bei VW werden Festangestellte und Arbeiter:innen von Leiharbeitsfirmen räumlich getrennt. Aus dem einfachen Grund, weil sie für die gleiche Arbeit weniger verdienen. In anderen Betrieben sieht es ähnlich aus. Meist sind es migrantisierte Personen, insbesondere FLINTA*, die durch Outsourcing immer noch weniger verdienen als der Rest. Sind die Arbeitsverhältnisse nicht sichtbar, bleiben sie auch unbekannt.  Deshalb frage ich mich: Wie soll ich denn überhaupt in Gehaltsverhandlungen gehen, wenn ich nicht weiß, was meine männlichen Kollegen verdienen, ja, sie noch nicht einmal kenne? Abgesehen davon müssen Unterhaltungen über Gehälter sowieso enttabuisiert werden.

Beide Aspekte, die hohe Fluktuation und die Isolation im Home-Office, haben für die Beschäftigten enorme Auswirkungen. Für die Arbeitgeber:innenseite scheint das doch sehr vorteilhaft zu sein. Sie profitieren von ständig wechselndem Personal, da sie so kurzfristiger planen müssen, die Arbeitsverhältnisse schlecht und die Löhne niedrig halten können. 


Ein guter Arbeitsplatz ist ein Ort, an dem sich ein gesellschaftliches Miteinander erfüllen lässt, an dem man auch mal über die Bosse ablästern und sich über Missstände und Ungerechtigkeiten austauschen kann. Doch es ist auch viel mehr als das. Die räumliche Nähe ist extrem wichtig, um sich auch gemeinsam für eine Veränderung stark zu machen. Jede Gewerkschaft, jeder Zusammenschluss von Beschäftigten entstand durch Debatten und in Räumen, die Arbeitskämpfe verwirklichen konnten. 


Der heutige Arbeitsplatz und dessen Digitalisierung bringt eben nicht die verheißungsvolle Bequemlichkeit, Innovationen und Sicherheit, nein, er präsentiert sich auch als Feuerprobe. Nur wer den Bedingungen der Individualisierung, der Anonymisierung und der Konkurrenz gewachsen ist, wird eine Chance auf Erfolg haben. Doch unsere Chance für Veränderungen liegt genau an den Orten, wo wir sind. Lasst uns auch dort zusammenkommen!


Quellen: 

https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/armut-im-studium-30-prozent-aller-studierenden-leben-in-armut/#:~:text=Studierende%20sind%20nach%20der%20Studie,Euro%20(%E2%80%9CArmutsl%C3%BCcke%E2%80%9D).

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