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Qué Será #6

Living the Good(s) Life – Wie kapitalistisches Gedankengut unsere Identitätsbildung beeinflusst

Alissa | 27.11.22

„Money can’t buy happiness“ – Ein Satz dem viele Menschen zustimmen würden, schließlich brauchen wir mehr als nur kaufbare Dinge, um glücklich zu sein. Gleichzeitig sind wir ohne Geld im Kapitalismus ziemlich machtlos. Doch wie dringt das Streben nach Profit eigentlich in unsere Köpfe und Identitäten ein?

Die Inflation und aktuelle Krisen zeigen uns mehr denn je, wie groß die Widersprüche in einer profitorientierten und ausbeuterischen Welt sind. Die Preise steigen, die Löhne nicht. Um unsere Grundbedürfnisse zu stillen, Essen, Trinken und ein warmes Dach über dem Kopf zu haben, brauchen wir Geld. Und das fehlt aktuell gerade vielen Menschen an allen Ecken. 


Selbstverständlich gehört zu unseren Bedürfnissen mehr als nur das nackte Überleben. Wir brauchen Zuneigung, Solidarität und Atempausen, um unsere Batterien aufzuladen. Eine kollektive und psychische Stabilität kann uns kein Geld alleine bieten. Aber wir brauchen zunächst Zeit, um unsere Beziehungen zu unseren Liebsten und der Natur zu pflegen, um Spaß und Freude in verschiedenen Aktivitäten ausleben zu können, um eine Gemeinschaft zu formen, sie zu gestalten und mit ihr Entscheidungen zu treffen. Aber freie Zeit muss man sich in dieser Gesellschaft leisten können. Freizeit ist ein knappes Gut.


Auf dem Papier kann man mit Geld kein Glück kaufen, aber je mehr der Kapitalismus unsere Lebensweise durchdringt, desto stärker hängt auch unser Selbstwert von der Fähigkeit ab, Geld anzuhäufen. Junge Menschen sind deshalb zunehmend dazu gezwungen, eine Identität anzunehmen, die es ihnen ermöglicht, in einer wettbewerbsorientierten und leistungsorientierten Kultur überleben und wachsen zu können. Um bei der Geschwindigkeit, in der sich unsere Gesellschaft und der Arbeitsmarkt entwickelt, mitzuhalten, müssen wir entweder alle zu Sprinter*innen werden, oder haben das Glück, mit einer Starthilfe geboren zu werden. 


Grundsätzlich sind Identitäten facettenreich und werden durch die Kultur geprägt. Dabei versuchen wir, eine Orientierung zu finden und unsere Interessen herauszubilden. Inwiefern das geschieht, hängt zunächst davon ab, wie sich die eigene Selbstdarstellung und das Selbstverständnis entwickeln. Es gibt viele Einflüsse. Unter anderem ist entscheidend, an welchen Orten wir uns begegnen – und das passiert zunehmend online. 


Auf Social Media durchdringen Unterhaltungsformate und Popkultur unsere Lebenswelt auf eine Weise, in der wir uns besonders von Menschen, die in diesen Bereichen erfolgreich sind, leiten lassen und sie als Vorbilder nehmen. Gerade Jugendliche orientieren sich am Anfang ihrer Identitätsbildung stark an anderen. Als Role-Models funktionieren heute diejenigen, die besonders erfolgreich sind, gemessen an Follower*innen. Newcomer Stars wie Nina Chuba oder Fashion Accounts wie der von Caro Daur verkörpern das, wo junge Leute hinwollen. 


Hier tauchen gleich zwei Probleme auf: Studien konnten zeigen, dass Influencer mit hohem Status eine Identität reproduzieren, die junge Menschen an marktorientierten Kriterien wie zum Beispiel der körperlichen Attraktivität, hohen Leistungen oder materiellem Wohlstand orientieren lassen. Und zweitens unterliegen Influencer selbst einer marktorientierten Logik, weil sie von der Aufmerksamkeit profitieren.

Dass Influencer jungen Menschen diese materialistischen Werte weitergeben, liegt daran, dass sie selbst für Werbetreibende eine beliebte Strategie sind, den Konsum anzuregen. Laut Schätzungen über die Größe des Influencer-Marktes nannte The Economist Zahlen zwischen zehn und Hunderten von Milliarden Dollar. Dabei gilt: Je berühmter und glaubwürdiger ein Promi ist, desto wirksamer wird die Werbung. Der Schlüssel für die eigene Prominenz ist es, selbst viel Geld anzuhäufen und als Influencer einen hohen Status und Ruhm zu verkörpern. 


Entscheidend sind mehrere Faktoren, um ein Produkt zu verkaufen. Ich versuche es an einem Beispiel festzumachen: Cathy Hummels litt als Jugendliche an Depressionen und ist derzeit immer noch in Therapie. Auf ihrem Instagram Kanal mit 688 Tausend Followern bewarb sie ihr Yoga- und Wellness-Retreat damit, dass es Menschen bei ihrer seelischen Gesundheit weiterhelfe. In einer Pressemitteilung kritisierte
die deutsche Depressionsliga die Werbestrategie aufs schärfste


Immer mehr Influencer bauen ihre Marke um ihre Selbstrepräsentation und damit ihr eigenes Business durch Kooperationen auf. Wer ein Produkt gut verkaufen kann, muss es selbst gut verkörpern. Ansonsten zeigen viele der Postings die Influencerin Cathy Hummels auf makellose Weise. Die Fotos mit ultra schlanker Figur, schöner Erscheinung in einem Luxusresort, wie hier im
Quellenhof, zeigen ihr “perfektes Leben”. Es entsteht der Eindruck, dass so das Leben spielen muss. Dafür müssen wir fleißig arbeiten und alles geben, um noch mehr zu besitzen, um glücklich sein zu können. 


Es sind nicht nur einzelne Influencer, die daran schuld wären, dass das intensive Streben nach Prestige tief in unsere Identitätsbildung eindringt. Vielmehr ist es eine gesamte Ökonomie, die alles daran setzt, Profite und unsere Leistung zu maximieren. Junge Erwachsene entwickeln deshalb ein Selbstverständnis, das ständig mit Imageverbesserung beschäftigt ist. Im Einklang mit dem optimierten Selbst ziehen wir ständig einen sozialen Vergleich, und zwar nach oben, gezeichnet von dem Bedürfnis, den sozialen Status im Verhältnis zu anderen zu definieren. 


Der amerikanische Historiker und Soziologe Mumford (1944) stellte schon im letzten Jahrhundert fest, dass sich die Bedürfnisse der Menschen durch den Kapitalismus ändern. Die persönliche Zufriedenheit finden Menschen nun eher in der Anhäufung von Reichtum, d. h. dem „Goods Life", als in ihrem intrinsischen Streben nach einem guten Leben, d. h. dem “Good Life".


Wer also denkt, Geld hat keinen Einfluss darauf, wie glücklich wir sein können, verkennt, dass wir seit Jahrzehnten im Kapitalismus leben, der versucht, aus unserem Streben nach Glück Geld zu machen. Der Kapitalismus braucht arme Menschen, um zu gedeihen. Wenn wir kollektiv glücklich sein wollen, müssen wir für eine gerechte Gesellschaft gerade jetzt auf den Straßen, im Betrieb und den Universitäten protestieren. Wir müssen Reichtum konsequent umverteilen.


Quellen:



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