Selfcare

Die Kapitalisierung der Selbstfürsorge 


Ein Text von LaValentinaloca | 27.01.21

Nimm dir Zeit für dich selbst, kümmere dich um dich selbst, lieb dich selbst. Das ist der Ratschlag, den man immer geben kann und genauso oft bekommt.
In der Regel geht’s daraufhin erstmal in den Drogeriemarkt, ein Selfcare-Paradies. Schöne Verpackung, große Versprechen, vielleicht sind ein Paar der Produkte sogar nachhaltig produziert – großartig! Am Ende kostet das alles einen Haufen Geld? – Egal, das sind wir uns wert!
Einmal zuhause angekommen kann es losgehen: Teelichter, Tuchmaske, Teetasse? Alles da – perfekt! Selfcare ist großartig, da kann man sich mal richtig was gönnen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Was hat das mit Kapitalismus zu tun?

Durch geschicktes Marketing werden Konsum und Wohlbefinden eng verknüpft, bis sie geradezu gleichbedeutend werden. Den Konsumenten wird hier versprochen, seelische Bedürfnisse durch einen Einkauf zu befriedigen. Weil das fast nie funktioniert, versuchen wir es immer wieder und kaufen immer mehr, fühlen uns durch die kurzen Wohlfühlmomente bestätigt und so geht es immer weiter. Die Frage ist nur die: Geht es uns danach wirklich besser? Und wenn ja, liegt das wirklich an Hautpflegeprodukten im Wert von 60€? – Die Werbung schreit: Ja! – und wenn nicht dann hilft bestimmt ein anderes Produkt aus unserem Angebot!

Was die Werbung nicht schafft wird durch den massiven Einfluss von Influencer _innen kompensiert, die uns auf viel subtilere Art dieselbe Botschaft vermitteln. Der (scheinbar) perfekte Lifestyle - geht nicht ohne die Selfcare-Lieblinge. Das Ganze funktioniert erschreckend gut, im Jahr 2020 hat die Kosmetikindustrie allein in Deutschland 14 Milliarden Euro erwirtschaftet.  Zum Vergleich: 2019 betrug das gesamte Bruttoinlandsprodukt von Armenien 11,5 Milliarden Euro.  Eine Sache, die ursprünglich nichts mit Konsum zu tun hatte ist zum Multimilliarden Geschäft geworden.
Doch bevor die Kosmetikindustrie darauf aufmerksam wurde, hatte der Begriff Selfcare eine ganz andere Bedeutung.

Fürsorge statt Konsum

Caring for myself is not self-indulgence, it is self-preservation, and that is an act of political warfare” – 
  
Die US-amerikanische Autorin Audre Lorde prägte den durchaus politischen Begriff bereits 1988. Als lesbische schwarze Frau, die von intersektionaler Diskriminierung betroffen war, bezeichnete sie das um sich selbst kümmern, nicht als Maßlosigkeit oder Genusssucht. Lorde spricht vielmehr von Selbstschutz und Selbsterhaltung, welche in einer diskriminierenden Gesellschaft zu einer Form des Widerstands wird. Audre Lorde wollte darauf aufmerksam machen, dass in einer Welt, die strukturell darauf ausgerichtet ist, bestimmte Menschen zu benachteiligen und zu schwächen, das Bewahren der eigenen Kraft und Gesundheit geradezu revolutionär ist.

Dass Audre Lorde eine entschiedene Gegnerin des Kapitalismus war, macht die Aneignung dieses Konzepts durch die Industrie besonders bitter, denn das Ganze hat nichts mit Pflegeprodukten oder Shoppingtouren zu tun.
Selfcare bedeutet etwas zu tun, das dir wirklich gut tut, nicht deiner Haut, deinen Haaren oder deiner Inneneinrichtung– sondern dir. Möglich, dass ein schönes Zuhause und ein gepflegtes Aussehen dazu beitragen können, aber das ist nicht primär gemeint. Es ist vielmehr eine Aufforderung, wirklich für sich selbst zu sorgen, Dinge zu tun, die nachhaltig wohltuend sind. Also die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um einer Welt voller Probleme und Diskriminierung bestärkt gegenüber zu stehen.   
Das bedeutet, sich mit den eigenen Problemen und Problemchen auseinanderzusetzen. Laufen gehen kann Selfcare sein, oder einen Zahnarzt-Termin ausmachen – oder eine Therapie. Selfcare ist nur meistens nicht so einfach, wie wir uns das vorstellen. Manchmal ist das richtig hart.
Manchmal reicht auch eine große Portion Pommes oder die Musik auf volle Lautstärke zu drehen. Unangenehme Gespräche können Selfcare sein, Grenzen zu ziehen ist es definitiv.
Möglicherweise ist sich um die eigene Zukunft zu kümmern und die eigene Trägheit zu überwinden genau das, was man gerade braucht. Es kann aber genauso gut sein, mal Zuhause zu bleiben, mal nicht an einer hitzigen Diskussion teilzunehmen und einfach mal liegen zu bleiben.
Das hängt immer von individuellen Bedürfnissen und Situationen ab. Keine Tuchmaske der Welt kann uns diese Arbeit abnehmen. Statt der Instrumentalisierung unserer Bedürfnisse durch Firmen nachzugeben, sollten wir uns also häufiger fragen, was uns wirklich fehlt, wenn wir uns nicht gut fühlen.

Quellen 
für diesen 
Text 

  • https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4593/umfrage/koerperpflegemittel----umsatz-in-deutschland-seit-2004/#statisticContainer
  • https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Laenderprofile/armenien.pdf?__blob=publicationFile
  • https://books.google.de/books?id=RicuDwAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=a+burst+of+light+lorde+zitieren&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjJypyw87HuAhUJ_BQKHX2ZBdkQ6wEwAHoECAMQAQ#v=onepage&q&f=false
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