SuezkanalMittelmeer

Über Kanäle

im Mittelmeer und ihre Macht

Benjamin Meinig | 24.06.2021


Sind wir mal ehrlich, einen Artikel über den Suezkanal hat hier bisher niemand vermisst. Warum auch, Geographie ist nicht besonder sexy, und der Kanal “ist halt da”. Vielleicht kommt der/die ein oder andere ja noch darauf, dass die Möglichkeit, Afrika nicht komplett umfahren zu müssen, eine Menge CO2 einspart. Trotzdem schenken wir der Geographie in Gesprächen über Politik oder Wirtschaft wenig Aufmerksamkeit. Denn Politik wird von Menschen gemacht, nicht von Bergen oder Flüssen.

Wie die Umwelt unsere Handlungen aber beeinflusst, ist nur wenigen bewusst. Die Form Frankreichs - und damit auch, wer zu Frankreich gehört - wurde maßgeblich vom Rhein, den Pyrenäen, den Alpen und natürlich vom Atlantik beeinflusst. Zwar gab es zahllose andere Faktoren, aber diese sind doch die stärksten. Genauso hätten die USA sich wohl schwer getan, die größte Wirtschaftsmacht der Welt zu werden, wenn sie nicht perfekte Anbindungen an die zwei größten Weltmeere gehabt hätten. Ein offener Zugang zu den Weltmeeren stellt sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch einen großen Machtfaktor dar. Außerdem besitzen sie eine riesige Fläche, in der beinahe alle möglichen Biome vertreten sind. Auch ihre politische Macht wird stark durch ihre Lage beeinflusst. Unabhängig davon, dass sie auf der ganzen Welt Truppen- und Schiffsverbände postiert haben, könnten sie schneller als jede andere Großmacht von ihren eigenen Häfen alle Kontinente erreichen. Währenddessen hat der ewige Konkurrent Russland nur einen einzigen Hafen, der ganzjährig ohne Eis (und damit befahrbar) ist. Dieser liegt auf der Krim und wurde erst 2014 von Russland annektiert und gehört nach Meinung des Westens zur Ukraine.

Nach einer Berechnung der CMA CGM-Gruppe verringert der Suezkanal den CO2-Ausstoß bei einer Fahrt von Singapur nach Rotterdam um 44 Prozent, beinah die Hälfte.

Die Rolle, welche Schiffe für die globale Wirtschaft und Kriege spielen, ist also immens. Genau wie die des Suezkanals. In Betrieb seit 1869, passieren 12 Prozent des weltweiten Schiffsverkehrs ihn jährlich, 2019 waren es 18.800 Schiffe. Viele kommen aus Asien. Nach einer Berechnung der CMA CGM-Gruppe verringert der Suezkanal den CO2-Ausstoß bei einer Fahrt von Singapur nach Rotterdam um 44 Prozent, beinah die Hälfte. Manch eine*r fragt sich vielleicht wie das geht, ist eine Fahrt quer durch den indischen Ozean und um das Kap der guten Hoffnung so viel länger? 

Eine klassische Weltkarte verschleiert die tatsächliche Größe von Afrika, da sie eine Kugel auf ein zweidimensionales Bild überträgt. So scheint Afrika maximal doppelt so groß wie Grönland. Aber tatsächlich ist Afrika etwa 14 Mal so groß wie größte Insel der Welt. Eine Fahrt von Asien nach Europa kann so ohne den Suezkanal schon mal zwei Wochen länger dauern. Für Vergleiche Empfehlen wir thetruesize.com.

Wie revolutionär ein Kanal an der Grenze zwischen Afrika und Asien wäre, war bereits den alten Ägyptern und Napoleon bekannt. Beide haben versucht, Verbindungen zwischen Mittelmeer und dem Roten Meer herzustellen. Die Ägypter hatten mit dem “Bubastis-Kanal”, der die beiden Meere indirekt über den Nil verband, sogar Erfolg. Der tatsächliche Suezkanal wurde aber erst 1869 eröffnet. Die Bauarbeiten hatten 11 Jahre in Anspruch genommen, und rund 1,5 Millionen Menschen - darunter viele Zwangsarbeiter*innen - waren am Bau beteiligt. Unbelegte Quellen sprechen von 125.000 Toten während der Bauphase.

Die Ägypter hatten mit dem “Bubastis-Kanal”, der die beiden Meere (...) verband, sogar Erfolg.

Welche Auswirkungen die Blockade einer solchen Durchfahrtsstraße haben kann, wurde im März 2021 klar: da täglich etwa 50 Schiffe den Kanal durchqueren, mussten wohl hunderte von ihnen tagelang vor dem Kanal ausharren, als die “Ever Given” manövrierunfähig feststeckte. Währenddessen fiel der Ölpreis immens, und besonders die Versorgung der Industrie mit Gütern kam stark ins stocken. Dieser Vorfall sollte uns bewusst machen, welche Rolle diese Nadelöhre der Weltmeere spielen. 

Dieses gigantische Projekt soll Istanbul attraktiver für die Durchfahrt zum Schwarzen Meer und ins Mittelmeer machen.

Ein anderes Beispiel für ein Nadelöhr liegt beinah gegenüber des Suezkanals. In Istanbul plant die türkische Regierung einen Kanal, der parallel zum Bosporus verlaufen soll. Dieses gigantische Projekt soll Istanbul attraktiver für die Durchfahrt zum Schwarzen Meer und ins Mittelmeer machen. Der Bosporus stellt zur Zeit die fast einzige Möglichkeit für Rumänien, Bulgarien, die Ukraine und den südwestlichen Teil von Russland dar,  an der internationalen Schifffahrt teilzuhaben. Zusätzlich gelangt noch ein Teil der Waren über die Donau-Main-Rhein Verbindung ins Schwarze Meer.

Die Regierung unter Erdogan plant diese Durchfahrtsstraße mit einem zweiten Durchgang zu vergrößern. Die 41.000 Schiffe, welche jährlich den Bosporus durchqueren, könnten so Wartezeiten vermeiden.

Nicht zu unterschätzen ist auch die militärische Bedeutung Istanbuls für mögliche zukünftige Auseinandersetzungen. Als Mitglied der UN könnte die Türkei in einem Krieg die russischen Schiffe daran hindern, das Schwarze Meer zu verlassen. Durch einen weiteren Zugang wäre die Durchquerung für andere UN-Kriegsschiffe erleichtert.

Ob dieses Projekt aber realisiert wird, ist noch nicht klar. Von nahezu allen Seiten hat es Kritik gehagelt. Wissenschaftler*innen vermuten ein erhöhtes Erdbebenrisiko, die Trinkwasserversorgung könnte in Gefahr sein, und aus geplant 200.000 zu fällenden Bäumen könnten schnelll 400.000 werden. Noch dazu kritisiert Istanbuls eigener Bürgermeister die Pläne scharf, gemeinsam mit den Bürgern der Stadt. Das liegt vorallem an den hohen Baukosten und den schweren Umweltbedenken. Verkehrsexperten weisen außerdem darauf hin, dass Verkehr und Unfälle auf dem Bosporus in den letzten Jahren rückläufig seien. Das ganze Projekt wäre damit ad Absurdum geführt, da es ja eigentlich der Entzerrung des Schiffsverkehrs dienen soll.

Trotz des Gegenwinds hält Erdogan aber an seinem Projekt fest. Welche Seite bei diesem Kampf den Kürzeren ziehen wird, steht noch in den Sternen.

Von nahezu allen Seiten hat es Kritik gehagelt. Wissenschaftler*innen vermuten ein erhöhtes Erdbebenrisiko (...).

Auch wenn der Mensch es in den letzten Jahrhunderten geschafft hat, Landschaften zu seinem Vorteil zu gestalten, bleiben wichtige Knotenpunkte wie Istanbul oder Gibraltar bestehen. Geographische Gegebenheiten beeinflussen noch immer maßgeblich unsere Bewegungen auf der Erde, und werden es auch noch lange tun.

 


Quellen:


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