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Foto: Lolografie

‘‘Lesen fördert Empathie wie sonst wenig!" – Interview mit Teresa Reichl

Lena | 26.10.23

Teresa Reichl ist Poetry Slammerin und Autorin aus Regensburg. Seit 2015 steht sie regelmäßig mit eigenen Texten auf der Bühne und spricht außerdem auf Instagram über Bücher, Make-up und Feminismus. In ihrem neuen Buch "Muss ich das gelesen haben?" fordert sie einen neuen, alternativen, feministischen Literaturkanon – einen, der die Literaturgeschichte umschreibt. Hierzu hat sie der BUUH! einige Fragen beantwortet.

Hallo Teresa, schön, dass du dir Zeit für uns nimmst! Du bist Poetry Slammerin, hast mittlerweile ein eigenes Programm (Obacht, I kann wos!), in dem du geschmackvoll von lustigen zu ernsten und persönlichen Themen übergehst. Dabei brichst du in deinem Auftritt auch mit dir als Bühnenperson. Das ist uns besonders in Erinnerung geblieben. Gibt es verschiedene Teresas? 


Ich würde nicht sagen, dass ich schauspielere auf der Bühne oder im Internet. Aber ich bin natürlich eine Version von mir, die ich mir gut überlegt und zurechtgelegt hab, dazu noch geprobt. Ich seh es als Teil meiner Arbeit an, dass es auf der Bühne immer so wirkt, als würde ich das alles zum ersten Mal erzählen, sonst wärs ja super langweilig fürs Publikum. Ich bin gern ehrlich, nahbar und mach mich verletzlich, aber halt auch nur so, wie ich mir das ausgedacht habe, zu meinen Bedingungen quasi.


Jetzt hast du vor kurzem auch noch dein Buch Muss ich das gelesen haben? geschrieben, in dem du für einen neuen Literaturkanon plädierst. Als wir deinen Vorschlag  durchgeschaut haben, waren wir ziemlich überrascht davon, wie wenige Namen wir wiedererkannt haben. Als Literaturwissenschaftlerinnen hatten wir unseren persönlichen Kanon diverser eingeschätzt. Bekommst du das öfter zu hören? 


Das ging mir komplett genauso, als ich das Buch geschrieben hab. Ich dachte, ich muss da nur mein eigenes Bücherregal durchgehen und aussuchen, was passt – Pustekuchen. Das heißt ja aber nicht, dass wir schlechte Menschen sind, sondern nur, dass erstens der Buchmarkt nicht alles im gleichen Maß anbietet und wir uns zweitens noch nicht explizit mit allen Bevölkerungsgruppen auseinandergesetzt haben. Das ist ja aber irgendwo auch was Schönes, weil man immer wieder Neues entdecken kann.


Um gleich dabei zu bleiben: Welches Potenzial – abseits davon, junge Leute für Literatur zu begeistern – siehst du in der Öffnung des Kanons? 


Auf jeden Fall Empathie. Lesen fördert Empathie wie sonst wenig, und wenn wir gerade etwas brauchen können, dann das. Wenn wir also Geschichten von allen möglichen verschiedenen Leuten lesen, können wir auch unsere Empathie für alle möglichen verschiedenen Leute fördern. Dazu kommt, dass wir dann nicht Menschen aus unserem Privatleben bitten müssen, unbezahlte Aufklärungsarbeit zu leisten und uns alles Mögliche zu erklären, sondern wir können Bücher kaufen, die das tun und damit auch noch ebendiese Aufklärungsarbeit mit Geld unterstützen – mega!


Wenn wir einen neuen Kanon gestalten möchten, nach welchen Kriterien wählen wir aus und worauf müssen wir den Fokus verschieben? Kannst du anhand eines Beispiels ausführen, wie du bei deiner Auswahl vorgegangen bist?


Die Kriterien bleiben mehr oder weniger die gleichen, wie sie jetzt sind: Was ist repräsentativ für die Epoche/die Strömung/die Gesellschaftsgruppe/die Textart? Dazu kommt bei mir nur, dass ich mir wünsche, dass Geschichten aus erster Hand gelesen werden, da, wo es möglich ist. Nicht, weil z. B. Männer keine guten Frauenfiguren schreiben könnten, sondern einfach, um der Gruppe, um die es einem geht, auch zu Wort kommen zu lassen. Wenn ich also wissen will, wie es Juden*Jüdinnen unter dem Naziregime ging, dann lese ich Das Tagebuch der Anne Frank oder Als Hitler das Rosa Kaninchen stahl und nicht Der Junge im gestreiften Pyjama


Uns ist aufgefallen, dass in deiner Auswahl kaum Übersetzungen vorkommen. Woran liegt das? Und wird hiermit nicht auch eine internationale Öffnung verhindert? 

 

Das hat schlicht den Grund, dass es in dem Buch um deutschsprachige Literatur und deutschsprachige Autor*innen geht. Ich finde nicht, dass ich damit irgendwas verhinderte. Im Deutschunterricht werden eben fast nur deutschsprachige Werke gelesen, das ergibt schon auch Sinn, finde ich.


Wenn man nach Verkaufszahlen geht oder einfach mal durch einen Buchladen schlendert, findet man von Young Adult Romanen überschwemmte Buchtische und Regale. In diesen – zum Beispiel die After-Reihe von Anna Todd oder sämtliche Bücher von Colleen Hoover – werden häufig heteronormative und patriarchale (Beziehungs-)Muster reproduziert und somit erneut eine eingeschränkte Weltsicht mit klaren Lebenszielen verstärkt. Siehst du darin einen negativen Einfluss, insbesondere auf junge Frauen? 


Puh ey, das habe ich auch schon beobachtet und weiß nicht ganz, wie ich es finden soll. Also einerseits versteh ich es, dass vor allem aus Weltflucht gelesen wird und deshalb Bücher gut ankommen, in die man sich eben gut flüchten kann und die sich nicht mit politischen Themen beschäftigen. Trotzdem wäre es ja echt nicht schwer, solche Geschichten auch in queer oder insgesamt diverser zu schreiben. Die gibt es ja aber immerhin auch! Man muss sie nur ein bisschen suchen.


Erster AfD Landrat, jede*r fünfte würde in den aktuellen Sonntagsfragen AfD wählen. Inwiefern könnte die Neubesetzung unseres Kanons den sich radikalisierenden menschenfeindlichen Positionen rechter Kräfte entgegenwirken?


Da wären wir wieder bei der Empathie. Wenn ich Geschichten von geflüchteten Menschen lese, Geschichten darüber, wie Schwarze Menschen und People of Colour unter Rassismus leiden, Geschichten von queeren Menschen darüber, wie viel Angst einem ein Outing machen kann – dann fällt es einem deutlich schwerer, sie zu hassen. Und wenn man genug Bücher von Opfern des Nationalsozialismus gelesen hat, erkennt man auch die Muster leichter wieder, die sich jetzt am Rechten Rand abzeichen.


Du hast selbst in Regensburg Lehramt für Deutsch und Englisch studiert, wie viel Verantwortung siehst du bei Lehrer*innen für politische Bildung? Und welche Rolle spielt dabei das Aufzeigen verschiedener Lebensrealitäten und -perspektiven? 


Also grundsätzlich müssen Lehrkräfte sich politisch neutral äußern, wenn ich das richtig im Kopf habe. Also unsere Sozialkundelehrerin meinte, dass sie uns im Unterricht jetzt nicht sagen dürfte, welche Partei sie am besten findet. Es ist aber auf jeden Fall auch Job der Lehrkräfte, Jugendliche zu mündigen Bürger*innen zu erziehen. Und dazu gehört meiner Meinung schon, anzumerken, dass Demokratie ein sehr gutes Konzept ist und bestimmte Parteien die gern abschaffen würden. Auch da kann Literatur gut helfen, vor allem historische.


Du hast dich letztendlich dagegen entschieden, Lehrerin zu werden, obwohl Lehrer*innen an Schulen konkretere Unterschiede für Schüler*innen bewirken können. Welches Einflusspotenzial siehst du in deiner jetzigen Tätigkeit? 


Ich denke, ich habe weniger viel Einfluss auf einzelne Menschen, dafür auf deutlich mehr davon, als wenn ich Lehrerin geworden wäre. Weil ich halt nicht nur meine Klassen an meiner Schule vor mir habe, sondern alle, die mich irgendwie im Internet finden oder zu denen ich an die Schule komme. Ich betreibe auch Bildungsarbeit, nur eben von außen.


Du kommst aus einem niederbayerischen Dorf im Umkreis Regensburg, sprichst selbst Bairisch und dein Programm trägt einen bairischen Titel. Welche Bedeutung hat das Bairische für dich und wie nutzt du es in deiner Arbeit? (Subversiv?) 


Am Anfang hab ich auf der Bühne arg probiert, meinen Dialekt zu verstecken und mir so reines Hochdeutsch wie möglich beizubringen. Aber das ist erstens super anstrengend und nimmt zweitens auch irgendwie was von mir weg. Ich rede halt, wie ich rede, das gehört zu mir dazu wie mein Körper und meine Stimmlage. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich meinen Dialekt „nutze“. Außerdem, wenn ich ganz ehrlich bin, dachte ich zu der Zeit, als mein Programmtitel entstand, noch, dass ich Lehrerin werde und nicht, dass ich das Ding jemals außerhalb von Bayern spielen würde.


Kannst du spontan ein Buch nennen, das du uns und unseren Leser*innen mit auf den Weg geben möchtest? 


Dein Taxi ist da von Priya Guns hat mich zuletzt sehr beeindruckt.


Wir danken Dir für das Gespräch!



Die Buuh! war bei Teresas Autritt in Ebersberg zu Besuch und durfte ihr Programm "Obacht, i kann wos" aus der Nähe erleben. Was unsere Redakteurinnen über den Abend berichten, könnt ihr hier nachlesen.

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