theoretischerfeminist

Theoretische Feminist*innen

Petra | 24.03.22

Theoretische Feministinnen sind wie theoretische Feministen. Nur tut es denen nicht so weh.


Gender Pay Gap – ein Skandal, Gleichberechtigung – noch nicht annähernd verwirklicht, ich hab da neulich was gelesen, das ist echt so krass... von diesem Kollektiv, dem folg ich auf Instagram und die haben echt immer so recht. Wusstest du, dass bei schwulen Paaren, die zusammen ein Kind großziehen, beide daran denken, dass das Kind bald neue Winterschuhe braucht? Das kann man messen, im Gehirn, da gibt’s so ne aktive Region im Neo-Kortex, ein Kümmer-dich-Areal sozusagen...

Ja, möchte ich rüber rufen, und das ist trainierbar! Ein paar Wortfetzen wie diese reichen mir schon. Schau ich mir den Typen an, weiß ich Bescheid und nee, ich möchte eigentlich gar nicht so unangenehm austeilen, bin so auch gar nicht sozialisiert, no Goodnight Stories for Rebel Girls in 1984, ihr wisst schon, aber hey, heute mal ne Ausnahme et voilà, hier mein selbst entworfenes Label für den Klugscheißer, der gerade noch mit einem lässigen Fingerzeig in Richtung Bedienung nen Spritz nachbestellt: Ein Theoretischer Feminist. Bedeutet, positiv formuliert, der Mann will es eigentlich besser machen als sein Vater, er ahnt, worauf es dem Feminismus ankommt, will vielleicht sogar wissen, wo’s weh tut. In der Theorie, versteht sich. Er hat auch ein Feminist-Shirt, aber das trägt er nur noch zum Schlafen, nicht mehr so aktuell – also ja nee, nicht falsch verstehen, eigentlich schon, aber halt doch schon irgendwie over, zu mainstream, das versteht Ihr sicher. 


Etwas negativer formuliert, dafür umso präziser, weil vom praktischen Ansatz her gedacht, ist dieser Typ qua meiner Definition einer, der seiner Freundin stolz mitteilt, dass er gerade die Wohnung gesaugt hat. Ein Theoretischer Feminist eben. Einer, der nicht wirklich begreift, wie zermürbend es ist, die Wohnung allwöchentlich wirklich von Schmutz zu befreien. Hat er nämlich nie gemacht, auch nicht in seiner WG, war ne gemischte Wohngemeinschaft.
Er ist einer, der sich genau merkt, wann er seine fünf Hemden selbst gewaschen hat, und dann damit prahlt, dass er im Haushalt seinen Teil macht. Seine und ihre Socken lässt er derweil lieber im Korb liegen, das dauert so lange beim Sortieren nachher.... Einer, der sich gut fühlt, wenn er sagt: Ich kann auch mal was machen, musst mir halt dann sagen.... Und der aber dann nichts macht, weil er’s vergisst. Oder eine wichtige Präse für den Job fertig machen muss. Nimm dir mal wieder ein bisschen Zeit für dich, geh aus, amüsier dich! Merci vielmals und wow, wenn ich bedenke, dass meine Oma sich damals noch über ihr eigenes Konto freuen durfte. Wir sind da heute viel weiter. Heute wird uns sogar eine Kneipentour zuerkannt – Welcome in den 20ern des neuen Jahrtausends, wilde Zeiten sind das! 


Ist das Feminismus? Wenn einer sagt, mach ich, aber nicht von allein, musst halt Bescheid sagen? Wenn mir einer erlaubt, auszugehen, dann aber in der Früh liegen bleibt, wenn das Kind aufwacht und Hunger hat? Für einen Theoretischen Feminist ist Feminismus keine Selbstverständlichkeit. Es ist was ganz besonderes, etwas, über das man redet, wenn man eine feministische Tat wie Staubsaugen oder Wäsche waschen vollbracht hat. Vielleicht bin ich zu optimistisch, ich stelle es mir noch toller vor: Ein Leben, in dem zwei zu gleichen Teilen Miete bezahlende Menschen beide in der Wohnung die Augen aufmachen und kucken, ob der Müll überquillt. In der jeder schaut, dass alle versorgt sind. Stattdessen: Wenn was anfällt, dann sagt es ihm halt bitte, liebe Feministinnen, so wie ihm seine Mama früher auch gesagt hat, dass er sein Zimmer aufräumen soll. Oder haltet wie sie damals oft die Klappe und macht es selber, geht schneller (und gründlicher, wir Frauen haben das ja von der Pike auf gelernt).

Theoretische Feministen fühlen sich modern. Sie spüren, dass sie auf der richtigen Seite stehen, wenn sie erklären, welche Rechte Frauen eigentlich haben sollten. Theoretische Feministen wissen, dass sie den Großteil des Familienunterhalts verdienen. Aber sie haben ja Elternzeit genommen, für einen Campingurlaub mit der Familie. Theoretische Feministen sind auf der Höhe der Zeit. Nur ist die gar nicht mal so hoch. 


Ich will gar nicht so einseitig urteilen – Theoretische
Feministinnen gibt es schließlich auch, nur fühlen die sich dabei nicht ganz so großartig. Sie gehen vormittags in die Teilzeitfalle und hadern mit der Entscheidung, nicht emanzipiert genug zu sein. Beim Gedanken an ihre Rente fühlen sie sich leicht unwohl, beim Gedanken an Ganztagspflege auch. Das Kind ist noch so klein... Theoretische Feministinnen überlegen sich alle Weihnachtsgeschenke, auch für seine Familie, nur bezahlen können sie selbst die für die eigene nicht mehr, siehe Teilzeitfalle. Theoretische Feministinnen räumen ihm immer hinterher, aber sie erzählen das niemandem, denn sie schämen sich dafür – aber das Bedürfnis nach einer sauberen Wohnung überwiegt. Theoretische Feministinnen sind außerdem immer müde, bloß keine Energie im Streit verschwenden, lieber noch schnell in die Kita-WhatsApp-Gruppe antworten, sonst denken die wieder, bei denen kümmert sich keiner. Theoretische Feministinnen sind in der Praxis Hausfrauen, Mütter, Teilzeitkräfte, in ihrem unerreichbaren Ideal wären sie gern kompromisslose Feministinnen. Aber die alten Rollenzuschreibungen kleben an ihnen wie zäher Kaugummi. Und natürlich wissen Theoretische Feministinnen, dass eigentlich er mal wieder dran wäre. Sie wissen aber auch: Das Kind braucht Winterschuhe, nicht nur in der Theorie.


Petra ist mit ihren 37 Jahren dezent überm Zenit, weshalb sie sich sicher ist, dass sie das Leben, das ihr noch bleibt, auskosten muss. Sie arbeitet und lebt als Redakteurin mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in München, tanzt mit Vorliebe raumgreifend und grübelt viel über die Widersprüche dieser Welt, denen sie als Frau mit einem gewissen Maß an Renitenz begegnet.

Share by: