was vermissen wir

Was vermissen wir eigentlich am Feiern?

Lilly | 31.12.2020

Es ist die Zeit der vielen Feste - gerade für mich, weil ich neben Weihnachten und Silvester auch noch Anfang Januar Geburtstag habe - und nichts kann so richtig stattfinden. Auch wenn Weihnachten mit der Familie nicht dasselbe ist wie eine Nacht im Club, denke ich momentan besonders viel darüber nach, wie schön es war, mit Menschen zusammen zu kommen. Mir fehlen speziell Partys sehr, was man fast nicht sagen darf, weil es sich hierbei um ein momentan vermeintlich drittrangiges Bedürfnis handelt. In diesem Sinne möchte ich jetzt aber mal die “staade” Zeit nutzen, um zu reflektieren und rekapitulieren - was vermissen wir denn genau?

Feiern für mich etwas nahezu Heiliges. In keinem anderen Kontext habe ich so viel Leichtigkeit erfahren, dieselbe Verbundenheit mit Menschen gespürt, so schnell neue Leute kennengelernt, so ausgelassen getanzt, gesungen und gelebt.

Wenn mich jemand fragen würde, was meine schönsten Erinnerungen sind, haben die meisten mit Alkohol zu tun. Mit Alkohol ist es unkompliziert, ungezwungen, ungehemmt. Man ist mutiger, was durchaus auch zu Dummheiten führen und Gefahren bergen kann. Diese schnelle Nähe, die man zu Fremden aufbaut, die Geheimnisse, die man sich erzählt, oder auch, dass es schlicht die beste Gelegenheit ist, endlich mit Frank aus dem Geschichtskurs zu knutschen. Die Spielregeln sind anders, Gesetze des Alltags ausgehebelt, die Peinlichkeitsgrenzen verschoben. Wenn alle berauscht sind, entsteht eine Art Gemeinschaft, in der weniger geurteilt wird, eine Verbindung, die für alle spürbar ist und doch unausgesprochen bleibt. Die Frage ist jedoch - muss dieser Rausch durch Rauschmittel herbeigeführt sein?

Zunächst steht einmal die Annahme, dass Feiern bedeutet, dass zwangsläufig Alkohol fließt. Das ist natürlich grundsätzlich Quatsch. Allerdings würde ich intuitiv Alkoholkonsum bzw.  Drogenkonsum mitdenken, wenn mich jemand nach dem Bild fragt, was bei dem Wort Party in meinem Kopf entsteht. Dementsprechend sind meine Erfahrungen mit dem Feiern: Es fing an mit Biertrinken bei der WM, heimlichem Mitschummeln von Alkohol auf Klassenfahrten und billigen Weißwein auf der Straße trinken. Damals hat mir das alles eigentlich noch nicht so geschmeckt, aber es fühlte sich einfach cool an.
Diese anfänglichen Arten von Party haben mich auch oft in unangenehme Situationen gebracht: Man musste irgendwas vor den Eltern verheimlichen, das erste Mal Kotzen zum Beispiel, oder Zigaretten und Hugo-Flaschen unter dem Bett verstecken. Aber auch auf den Partys selber: Es wurden Spiele wie Wahrheit oder Pflicht und "Ich hab noch nie“ zum Renner. Wenn ich überlege, wie oft das blöd wurde, weil man sich im Nachhinein dachte, zu viel peinliches offenbart zu haben oder weil man in irgendwelche cringigen Knutschereien verwickelt wurde, wo man sich in Grund und Boden schämt, wenn man daran zurückdenkt.

Heute bin ich Anfang 20 und habe schon auch Feiern erlebt, die ein bisschen „erwachsener“ zugingen. Zwar hat man sich auch besoffen, aber halt, weil der Alkohol „schmeckt“ und mit mehr Kennenlernen durch Quatschen und weniger Kennenlernen durch sofortige Offenbarung der Häufigkeit des Masturbierens in irgendeinem Spiel. Und ehrlich, letzteres vermisse ich nicht so arg. Trotzdem würde ich behaupten, es hat sich eigentlich nicht so viel verändert.

Eine Freundin erzählte mir neulich, dass sie auf einer Party bei einem Bierpongspiel als Verliererin dazu gedrängt wurde, nackt um den Block zu rennen, weil das eben der Deal ist. Sie wollte nicht so recht, aber dann steht man halt schnell als Langweiler*in da. Abgesehen von Wahrheit oder Pflicht-Situationen in denen man lügt, weil es einem peinlich ist, dass man sexuell weniger erfahren ist als andere, kenne ich auch Geschichten von Missbräuchen, die in diesem Kontext nicht selten passieren. Alkohol ist ein Katalysator für übergriffiges Verhalten. Und auch praktisch, man kann danach dann nämlich sagen, man hätte das ja nicht so gemeint, man war halt besoffen, eigentlich wollte man das ja nicht, keine Ahnung, wie das passieren konnte. Zum Glück entzieht Alkohol einem jegliche Verantwortung. 

Auf Übergriffigkeit, unangenehme Sexanfragen und alles andere, was man sich in nüchtern wohl nicht trauen würde, kann ich absolut verzichten.
Ob man Alkohol trinken möchte oder nicht, ist nochmal eine andere Frage. Das Zeug ist ein Nervengift und eigentlich richtiger Mist, aber ich denke, das wissen wir alle. Gesellschaftlich ist es aber völlig normal und bis zu einem gewissen Grat gewünscht, ihn ständig zu konsumieren, sodass man negativ auffällt, wenn man nichts trinkt und auch ständig danach gefragt wird. Allerdings vermisse ich auch weniger das bloße Saufen, denn das kann ich auch alleine auf meiner Couch. Sondern die Menschen, die Musik, das Kennenlernen, Lachen, Tanzen, Kuscheln und Quatschen. Und vielleicht hin und wieder mal eine Runde Bierpong oder „Ich hab noch nie“.

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