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Wie oft denn noch?

ein Text von Lilly | 01.02.21

#Freiheit1. Ein großes Thema unserer Zeit ist es, alles einzeln auseinander zu nehmen und für sich zu betrachten. Es ist absolut wichtig, gesellschaftlich verinnerlichtes Diskriminierungsverhalten wie Rassismus oder Misogynie nicht einfach beiseite zu wischen, sondern Fall für Fall zu betrachten und unser eigenes Verhalten zu reflektieren. Das mag für manche nervig sein, manche sehen es auch als großen Eingriff in die persönliche Freiheit. Aber wo wird diese denn eingeschränkt und warum eigentlich?


Disclaimer: Rassismus ist ein hochsensibles Thema und ich als weiße Person möchte mir nicht anmaßen zu denken, ich würde über besondere Expertise dazu verfügen. Trotzdem kann und will ich nicht still bleiben. Sollte ich Fehler machen, bin ich jederzeit bereit, dazu zu lernen.


TW: Es geht in diesem Text unter anderem um rassistische Sprache und antiziganistische Aussagen.


Was darf man denn eigentlich noch sagen?


Diese Frage scheint Deutschland wirklich zu bewegen. So sehr, dass es für notwendig befunden wurde, eine Gruppe Boomer in eine WDR-Talkshow namens “Die letzte Instanz” einzuladen, damit sie die Frage mit einem “natürlich alles, wir lassen uns doch nicht den Mund verbieten!” beantworten. 


Das war nicht der exakte Wortlaut - tatsächlich ging es darum, ob es notwendig war, die Z
*-Soße umzubenennen. Daraufhin vier weiße Deutsche, die sich offensichtlich noch keine Sekunde in ihrem Leben mit Rassismus geschweige denn Kritik daran beschäftigt haben, wie sie den absoluten Klischee-Standard-Mist von sich geben. 

Hier herrscht offensichtlich große Ratlosigkeit - was an sich ja sein kann, aber vielleicht sollte man dann nicht ausgerechnet äußerst ratlose Menschen zu einer Talkshow im öffentlich rechtlichen Fernsehen einladen. Ist ja nicht so, als gäbe es Leute, die selbst betroffen sind und u.a. beruflich darüber aufklären...Naja, die Hermanns und Edeltrauds möchten sich halt lieber in ihrer Ignoranz bestätigt sehen, als dazu zu lernen. Hier ein paar Klärungsversuche:


Ich kenne Menschen, die von Rassismus betroffen sind, die stört das nicht und die finden die Debatten um sprachliche Anpassung lächerlich! - Es gibt auch innerhalb von Minderheiten unsolidarische Menschen. Auch von struktureller Diskriminierung betroffene Menschen haben diese verinnerlicht, das ist das Strukturelle daran. Außerdem bedarf es auch einer gewissen Bildung um zu verstehen, dass das, was man da erlebt, struktureller Rassismus ist. Und diese Bildung ist nicht allen gleichermaßen zugänglich. 


“Wir haben echt andere Probleme!” - Ja, haben wir schon auch, aber das ist halt auch eins, warum sollten wir es dann nicht angehen?


Ich als blonde Frau mit großen Brüsten muss mir noch ganz andere Dinge anhören” - Ähm ja, sicherlich, aber das ist irgendwie Whataboutism und ich würde mich als weiße Person nie mit BiPOC vergleichen. Besonders schön auch die Aussage einer der Anwesenden, als Jimi Hendrix verkleidet unter ausschließlich weißen Bankern habe er gewusst, wie sich Schwarze fühlen. Ja Ciao.


“Davon fühlt sich doch niemand diskriminiert, vielleicht zwei drei Leute mit Langeweile.”
- Das ist so ein BS, wir wären nicht in diesen Debatten, wenn es wirklich niemanden stören würde. Und es gibt dazu auch tausend Bücher, honey, look it up. Es steht alles zur Verfügung. Im Internet vieles sogar kostenlos. 


“Man blackfaced und verkleidet sich doch, weil man das bewundert und toll findet!” - Keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Verkleidest du dich als Ananas oder Teletubby, weil du die toll und bewundernswert findest? Ah, achso und deshalb gehen auch so viele als Krankenschwester, ist ja auch so ein angesagter Beruf grade. Kinder finden es vielleicht wirklich cool, sich als Cowboy und I* zu verkleiden, aber die kennen auch nur Yakari und nicht die wirkliche Geschichte von Indigenen Völkern. Ihr scheinbar auch nicht.


“Wie kann man so spaßbefreit sein, die verstehen keinen Humor mehr.” - Ja, irgendwie schon frustrierend, dass man mit 50+ merkt, dass der eigene Humor daraus besteht, sich über gesellschaftlich benachteiligte und unterdrückte Menschen auszulassen.


“Ich hab noch nie bei dem Z*-Wort an Rassismus gedacht und überhaupt meint man das ja nicht so.”
- Wenn du jemanden schlägst und danach sagst, dass du dabei an die Glücksbärchis gedacht hast, dann macht das bestimmt nichts, dass die Person jetzt eine gebrochene Nase hat.^^ 


“Das gab es ja noch nie, früher hat das keinen gestört.” - Doch, hat es. Und früher haben Menschen auch geglaubt, dass die Erde flach und Masturbation schädlich ist. Sollten wir etwa an solchen Denktraditionen festhalten? 


Neben der Frage nach der Soße kamen die Fragen “Ist Social Media ein Fortschritt?” (ähm, rein faktisch - ja), wo selbstverständlich wieder das Klischee von jungen Leuten, die nur an ihren Handys hängen und sich ja für nichts im *echten Leben* interessieren aus Opas verstaubtem Eckschrank geholt und belacht wurde. “Können wir der Polizei noch vertrauen?” und am besten: “Können wir extrem gepiercte Erzieher und Lehrer” - hier wird nicht gegendert - “unseren Kindern zumuten?”. Ich muss so sehr lachen, wenn ich das lese, weil ich nicht glauben kann, wie wenig diese Sendung sich selbst ernst zu nehmen scheint.

Willkommen in 2021. Begreift bitte, dass sich schon die Gen-Z mit ihrem ach so peinlichen Tiktok mehr mit ihren eigenen Privilegien auseinandergesetzt hat als ihr in eurem ganzen Leben. Kommt klar darauf, dass die manisch am Bildschirm klebenden pickligen Jugendlichen heute mit 14 mehr über Klimapolitik wissen und politisch partizipieren, als ihr mit eurer ewigen Lebenserfahrung.


Wir verstehen, dass sich Dinge heute sehr schnell verändern und man da vielleicht aussteigt, gerade wenn man nicht in die Internetkultur hineingeboren ist. Wir leben in einer Zeit mit nahezu unbegrenzter Möglichkeit zu Information und interkultureller Kommunikation, gerade durch Internet und Social Media. Bevor ihr über ein Thema sprecht, welches euch nicht betrifft, nutzt diese Möglichkeit. Gerade wenn einem der eigene Wertekatalog so wichtig ist, dann wär das das Mindeste, was man an Rücksicht und Respekt erwarten kann.


Um also die anfängliche Frage zu beantworten: Sagen darf man vor dem Gesetz fast alles. Wenn du aber im Ansatz irgendwas auf deine Mitmenschen gibst, dann sag vielleicht nicht das, von dem sie dir mehrfach erklärt haben, dass und warum es sie verletzt. 

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