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What does the skirt say? - Mode, Gender und unzeitgemäße Barrieren


Dunja | 08.07.21

Kleider machen Leute. Diese Behauptung schwebt in unseren Köpfen oft ohne, dass tiefer auf sie eingegangen oder über sie nachgedacht wird. Während uns die grundsätzliche Bedeutung – Kleider beeinflussen die Präsenz oder die Persönlichkeit von Menschen visuell – oft bewusst ist, hinterfragen wir selten deren Ursprung und Entwicklung. Gottfried Keller beschreibt in seiner Novelle aus dem Jahr 1874 mit ebendiesem Titel, Kleider machen Leute, die Situation eines Schneiderlehrlings, welcher durch seine Kleider fälschlicher Weise für einen Grafen gehalten wird. Hier wird gezeigt, dass bestimmte Kleidungsstücke und Stile mit sozialem und finanziellem Status sowie mit gesellschaftlicher Klasse verknüpft werden. Und neben weiteren Merkmalen von Mode hat sich ein bestimmtes in unser Gehirn eingebrannt: Die binäre Aufteilung in Frauen- und Männermode.

Da die Frauen nun durch ihre Kleider den finanziellen und sozialen Status ihrer Familie zu Schau trugen, war es nicht nötig, die Herrenmode der Zeit ebenfalls besonders  innovativ zu gestalten.

Diese Trennung ist tief in der Modegeschichte verankert: Bis zur französischen Revolution galten strenge Vorgaben für die Kleidung der verschiedenen Stände. Diese wurden nach der Revolution zwar fallen gelassen, jedoch von den Menschen privat mehr oder weniger freiwillig weitergeführt. Mit der Industrialisierung wurde schließlich der Grundstein für unsere heutige Konsumgesellschaft gelegt und die Damenmode wurde immer ausgefallener, extravaganter und auch unpraktischer, z.B. durch Korsetts, große Hüte und hohe Schuhe. Einzig und allein um dadurch den Reichtum des Mannes in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Gleichzeitig war Mode um 1900 einer der wenigen Bereiche, in welchen Frauen des Bürgertums sich ausleben und selbst, zumindest unter Vorbehalt ihres Ehemannes, Entscheidungen treffen konnten. Da die Frauen nun durch ihre Kleider den finanziellen und sozialen Status ihrer Familie zu Schau trugen, war es nicht nötig, die Herrenmode der Zeit ebenfalls besonders, innovativ und divers zu gestalten und so trugen Männer sehr einheitlich wirkende Anzüge in vor allem dunklen Farben. Auch wenn seit der Begründung der Haute Couture Ende des 19. Jahrhunderts das Verständnis von Mode als Kunst und sich unzählige Modeunternehmen entwickelten, stand erst einmal die Frauenbekleidung im Fokus. 

Heutzutage gibt es zwar Unternehmen und Designer*innen, welche sich allein auf Männerbekleidung spezialisieren, es ist jedoch sehr auffällig, dass Schnitte in der Herrenabteilung oft einfacherer gestaltet und Farben gedeckt gehalten werden, eine geringere Komplexität sowie grundsätzlich weniger Angebote vorhanden sind. Okay, hin und wieder ist ein Tupfen Farbe vorhanden oder auch mal ein auffälligeres Muster, aber das sind eher Ausnahmen.

Doch: Ist das Ganze nicht etwas sehr überholt im 21. Jahrhundert, wo zumindest in den privilegierten Teilen der Welt Mode ein Ausdrucksmittel für das eigene Selbst ist und längst nicht mehr Reichtum oder ähnliches kennzeichnet? Eigentlich braucht es aus dieser Perspektive keine Aufteilung in triste Männer- und auffällige Frauenmode mehr, wobei diese Menschen helfen kann, sich zu orientieren, wenn das Einkaufen von Kleidung allein einen immensen Druck auf sie auswirkt, an welchem nicht zuletzt die Erwartungshaltungen in unserer Gesellschaft Schuld tragen. Andererseits werden Menschen durch die binäre Einteilung von der Modeindustrie gezwungen, eine weitere Entscheidung zu treffen: In welcher Abteilung soll ich einkaufen? Dies führt zu weiteren Fragen, mit denen sich Menschen auseinandersetzen müssen: In welche Schublade dieser Modewelt muss ich mich zwängen? Wo werden welche Größen angeboten? Entscheide ich mich entgegen der Norm, was macht das mit mir? Wie wirke ich dadurch auf meine Mitmenschen? Welche gesellschaftlichen Vorurteile könnten sich mir in den Weg stellen?


Während all diese Fragen ernst genommen werden müssen, weil Menschen heute noch von den binären Abteilungen von Bekleidungsgeschäften abhängig gemacht werden, gibt es auch grundsätzlich positive Aspekte, welche für deren Auflösung sprechen: Im Allgemeinen verbreitet sich die Ansicht von „Na und? Jede*r kann doch tragen was sie*er* möchte.“ Immer weiter in der Gesellschaft. Leider nicht überall und in alle Richtungen. Während meine 15-jährige Schwester die Shirts meines Vaters als Oversize-Baggie-Shirt im Skaterlook kombiniert und es „cool“ ist, weil es aus der Männerabteilung stammt, ist das nicht überall der Fall. Erst im letzten November wurde in Spanien ein Junge, der einen Rock – also ein in unserer Gesellschaft und Zeit weiblich konnotiertes Kleidungsstück – in die Schule trug, vom Unterricht ausgeschlossen. Dieser Vorfall selbst erregte kein Aufsehen, bis zum Frühjahr diesen Jahres. Im Mai fingen drei Lehrer an, Röcke im Unterricht zu tragen, um ich sich für Toleranz und Respekt aller Menschen und insbesondere Schüler*innen und deren Kleidung einzusetzen. Sie unterstützen damit außerdem die Kampagne #clotheshavenogender. 

 Bis Unternehmen beginnen, ihre binäre Abteilungs-führung und damit eine unzeitgemäße Barriere aufzugeben, bedarf es noch einiges an Aktivismus.

Dies ist nur eine von einigen Aktionen, die in letzter Zeit für mehr Gleichberechtigung in der Modebranche durchgeführt wurden. Ein weiteres Statement setzte zum Beispiel Harry Styles, welcher auf dem Cover der Vouge zu sehen war. Viel Inspiration und Aufklärungsarbeit leistet ALOK (they/them) mit Büchern wie Beyond The Gender Binary oder der mit der Bewegung #DeGenderFashion. 

Neben all den wichtigen Projekten ist eine grundlegende Veränderung in der Modebranche unausweichlich. Diese schaffen Unternehmen, indem sie ihre Mode sowie ihr Unternehmen selbst inklusiv und divers gestalten. Hierbei ist das Konzept der Genderless Fashion noch etwas über dem der Unisex-Mode anzusetzen: Während ersteres auf jegliche Vorkategorisierung verzichtet, ist letzteres für alle Gender gleichermaßen gedacht, weshalb zum Beispiel auf universelle Schnitte geachtet wird. Dass Mode ohne Geschlechterkategorisierungen funktioniert, zeigt zum Beispiel das Label Studio nakamoto kazuki, welches unter anderem vielseitig kombinierbare Kleider und Röcke für alle herstellt. Bis sich dieses Konzept in der Modebranche weiter gefestigt hat oder Unternehmen anfangen ihre binäre Abteilungsführung und damit eine unzeitgemäße Barriere aufzugeben und abzubauen, bedarf es noch einiges an Aktivismus, Kampagnen sowie Aufklärungsarbeit und eine ehrliche Akzeptanz, Respekt  und vielleicht sogar ein Allyship, wenn mensch das nächste Mal sagt: „Na und? Jede*r kann doch tragen was sie*er* möchte.“

Quellen

  • Fashion Changers (Jana Braunmüller, Vreni Jäckle, Nina Lorenzen) Hg. Diversität in der Modebranche. Erste Schritte und Tipps für mehr Vielfalt in Mode- und Medienunternehmen. Berlin 2021. (Erschienen nur als E-Book: https://mailchi.mp/4ffb2602b1b7/e-book-diversitaet, letzter Zugriff: 07.07.2021), S.20.
  • Lehnert, Gertrud und Alicia Kühl und Katja Weise, Hg. Modetheorie. Klassische Texte aus vier Jahrhunderten. Bielefeld: transcript Verlag, 2014, S. 89-90.
  • https://metro.co.uk/2021/05/31/spain-male-teachers-wear-skirts-to-class-after-student-expelled-for-wearing-one-14682361/, letzter Zugriff: 07.07.2021.
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