Bye,Bye Kummer

Bye, Bye Kummer

Maximilian Rehberg | 10.02.2022

Ich war damals 18 Jahre alt, als ich das Ticket für das Kummer Konzert erwarb. An dem Tag, an dem ich mich aufmache in das Palladium nach Köln, bin ich 20. Zurück in die Stadt, die ich vor über einem Jahr für’s Studium verlassen habe. 


Am 1. Dezember 2021 sollte es dann stattfinden: Die letzte Show der KIOX-Tour von Kummer. Bis kurz vor dem Konzert hab ich schon selbst nicht mehr geglaubt, dass ich dort hingehen würde. Drei oder viermal wurde der Stichtag versetzt. Inzidenz zu hoch, von Welle eins bis Welle drei. Doch dann war es endlich soweit.

Es sollte ein außergewöhnlicher Konzertbesuch werden. Abgesehen von der dezenten Verspätung würde ich ganz allein dorthin gehen. Die anderen waren in Sorge, wegen der wieder rapid steigenden Inzidenzen. Doch mir war es egal, ich wollte es unbedingt sehen, zu lange habe ich gewartet, als dass ich es mir deswegen entgehen lassen könnte. 


Als ich in Köln ankam, hatte ich dennoch ein mulmiges Gefühl. Es war doch irgendwie komisch, dort alleine aufzukreuzen. Wer macht denn sowas? Jemand der keine Freunde hat, dachte ich. Eine Stunde vor Einlass kam ich am Palladium an, nicht mal 50 Leute standen dort in der Schlange. Ich stellte mich dazu, hatte noch ein Bier besorgt und fing an zu warten. Relativ schnell kam ich mit anderen in der Schlange ins Gespräch. Hinter mir, ein Pärchen aus Dortmund, ungefähr mein Alter. Mit ihnen würde ich später die lange Wartezeit überbrücken. 


Zweieinhalb Stunden später: Die Vorband Blond hatte ziemlich gute Stimmung gemacht. Dann war es endlich so weit, Kummer betrat die Bühne. Auch wenn ich ihn schon mal hatte spielen sehen, es hatte mich wieder fasziniert. Fasziniert zu sehen, dass die Künstler:innen auf unseren Screens und in unseren Ohren, tatsächliche Menschen sind. Und das traf mich bei Kummer noch mehr, weil sich seine Musik bei mir besonders eingeprägt hat.


In seinem Album “Kiox” erzählt Kummer nicht einfach nur Geschichten über irgendwas. Kiox ist die Geschichte seines Lebens. Es geht um die Jugendzeit in Chemnitz, wo man von Neonazis auch mal verprügelt wurde, es geht um die Angst vor der Vergänglichkeit der Zeit und ihre Sinnlosigkeit, es geht um Freunde die 26 waren und für immer bleiben und natürlich geht es (auch) um Liebe. Es ist damit gleichermaßen politisch wie persönlich


Die Show mit den Songs die ich so oft schon rauf und runter gehört hatte, sie wurde zu einem wunderbaren Fest. So schnell ich das Pärchen aus Dortmund eben noch wieder gefunden hatte, so schnell verlor ich sie aufs Neue. Die Moshpits spülten mich quer durch den Saal. Ich befand mich ganz vorne, als beim Song “Der Rest meines Lebens” die Stimme von Max Raabe und sein balladischer Refrain durch die Boxen dröhnten. Zu diesen Zeilen trug die Menge sich selbst als Opfergaben bis zur Security nach vorn, sie alle sollten Kummers Hand zum Gruß berühren. Eine Szenerie, wie die Erschaffung Adams, einfach zu schön. In diesem Meer aus Menschen wie mir wurde mir bewusst, dass dieses Album nicht nur für mich so viel bedeutete, so viele Leute waren dort und sie empfanden wohl genauso wie Ich.

Zweieinhalb Jahre lang dröhnten seine Zeilen nun schon durch meinen Kopf. In meinem Freundeskreis hatte ich niemanden, der ihn so gehört hatte. So wurde Kiox für mich eine sehr eigene Erfahrung und sie mündete in dieser strömenden Masse, die genau so empfand. Vielleicht ist es dasselbe mit dieser Pandemie. Vielleicht endet sie in der Erkenntnis, dass wir mit unseren Erfahrungen und unseren Entwicklungen gar nicht so allein sind, wie es scheint.

Vielleicht war es Schicksal, dass ich alleine auf dieses letzte Konzert gegangen bin, vielleicht musste es so sein.


Schon vor einigen Monaten stellte Felix Brummer klar, dass

Kummer ein Projekt mit einem Anfang und einem Ende ist. In unserer Welt, in der alles immer weitergeführt wird, in der jede Netflix-Serie noch eine Staffel bekommt und noch eine und noch eine, da ist so eine Entscheidung eine willkommene Abwechslung. So wurde dieses letzte Konzert zu einem ganz Besonderen. Ein letztes Aufbegehren, eine letzte Hommage an diese Zeit. In diesem Sinne heißt es Abschied nehmen.


Bye, Bye Kummer.

Foto: Maximilian Rehberg

Maximilian Rehberg


Max ist 20 Jahre alt und studiert seit 2020 Politik- und Geschichtswissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Wie man an seinem Studiengang schon erahnen kann, interessiert er sich vor allem für politische und historische Vorgänge - daneben aber auch für Literatur und Kunst, speziell für analoge Fotografie. Seine Texte drehen sich, wie seine künstlerische Aktivität, aber auch um

alltägliche Erlebnisse und ihre unscheinbare Besonderheit.

weitere Beiträge von Max:

Banksy für die Masse


Social Media: @mvx_r 

Share by: