dasfeministischepotenzialderselbstsexualisierung

Das feministische Potenzial von Selbstsexualisierung


Leni | 14.10.2022

Pole Dancing, Only Fans und Shirin David – was davon darf ich unterstützen, wenn ich mich als Feminist*in bezeichne? Ganz einfach: alles. 


Eine meiner liebsten Influencer*innen auf Instagram, die bisher vor allem Fitness- und Poly- Content geteilt hat, hat sich vor kurzem einen OnlyFans-Account erstellt und berichtet, wie viel Spaß sie an der Selbstinszenierung und an dem Aufnehmen der Bilder hat. Warum sollte ich hier andere Gefühle haben, als mich für sie zu freuen, dass sie etwas Neues in ihr Leben integrieren konnte, das ihr Freude und auch noch Geld bringt? 


Viele Follower würden das leider nicht als rhetorische Frage verstehen, sondern erklären, dass sie dem Patriarchat in die Karten spielt und sich dem male gaze unterwirft, indem sie sich in knapper oder ohne Bekleidung und damit ihren den westlichen Schönheitsidealen entsprechenden Körper zeigt.


Ja, viele, die auf Only Fans Bilder hochladen, geben vor allem männlichen Usern genau das, was sie sehen wollen und lassen sich sexualisieren – oder sexualisieren sich selbst. Und verdienen damit Geld. Win-Win-Situation? Oder ist der Spielstand: Geldbeutel: 1, Männer: 1, Feminismus: 0? Ist eine nackte weiblich lesbare Person immer eine Niederlage für den Feminismus? Oder ist es immer ein Gewinn, wenn sie  selbstbestimmt Geld verdient? In meinen Augen ist es einer – denn sexualisiert werden sie ohnehin, dann können sie ja wenigstens Geld damit machen, wenn sie sich damit wohlfühlen.

Ob sie sich wohl und vielleicht sogar empowert fühlen, ist nicht an mir zu entscheiden. Wir werden nie wissen, warum es sich für so viele gut und bestärkend anfühlt und ob es sich auch so anfühlen würde, wenn wir nicht mit bestimmten Schönheitsidealen und dem male gaze aufgewachsen wären, aber deshalb können wir trotzdem keiner Person absprechen, dass es sich gut für sie anfühlt. Your body, your choice – die Beweggründe für deine Entscheidung gehen mich nichts an.


Nicht unwichtig ist auch die Frage: Ist Empowerment als Nebeneffekt überhaupt relevant?


So schreibt z.B. „wh0rezontal_perspective“ auf Instagram (zitiert in einem Post von “6arbeiterin_”): „Mich stört, dass die Erwartungs-haltung ‚empowert‘ durch 6arbeit zu sein, viel zu oft als pseudofeministisches Label missbraucht wird, um in meiner Entscheidung als 6arbeitende mein Geld zu verdienen, einen Sinn zu finden, der über die Notwendigkeit Miete zu zahlen hinausgehen soll. […]“ 


Ich will nicht in eine Debatte zu Sexarbeit abrutschen, aber die Argumentation lässt sich leicht auf sexualisierte Selbstdarstellung auf einer Plattform wie OnlyFans anwenden. Wie wichtig ist es, ob die Content Creator dort ihre Arbeit als empowernd empfinden? Das sollte für unsere Solidarität keine Rolle spielen. Selbstbestimmung ist das eine, eine emanzipatorische Motivation etwas anderes – erstere wünschen wir allen, letztere dürfen wir von OnlyFans Nutzer*innen genauso wenig fordern wie von Menschen, die als Zusatzverdienst Zeitungen austragen. Unsere Solidarität sollte davon nicht abhängen. Vielleicht liegt genau darin das feministische Potenzial: in der bedingungslosen Solidarität.


Unsere internalisierte Misogynie (verinnerlichte Frauenfeindlichkeit) will sich auf die leicht bekleideten Darsteller*innen stürzen und sie verurteilen. Haltet sie fest, schickt sie in eine andere Richtung. Wenn ihr die Bekämpfung des Patriarchats als Grund vorschiebt, dann fangt nicht bei denen an, die darunter am meisten leiden.


Hier findest du Lillys Beitrag Wider das Feminist-Washing der Selbstsexualisierung im Reggaeton, in dem sie die Problematik dieses Phänomens beleuchtet.

Share by: