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Unterrichten mit Kopftuch: Zwischen Unsicherheit und Paradox

Sophia Hiss | 28.04.22

Schon wieder ein Artikel über das Kopftuch? Ist das nicht langsam ausdiskutiert? Die Antwort darauf lautet klar: Nein! Solange Muslim:innen aufgrund ihres Kopftuchs immer noch vor großen Unsicherheiten und struktureller Diskriminierung stehen, gilt es, weiter zu hinterfragen und zu diskutieren. Das muss vor allem mit den betroffenen Personen geschehen. Zahlreiche Artikel und Veröffentlichungen arbeiteten sich in der Vergangenheit am Charakter des Kopftuchs als religiöses Symbol, Symbol der Unterdrückung, Symbol der feministischen Selbstbestimmung, Symbol der Spiritualität und Nähe zu Gott und zahlreichen anderen Zuschreibungen ab.

Es ist ein Symbol, das je nach Trägerin einen besonders emotionalen, sozialen, religiösen, spirituellen und manchmal auch zwanghaften Charakter hat und von der Gesellschaft mit verschiedenen Bedeutungen und Assoziationen aufgeladen wird, die oftmals sehr diskriminierend und herablassend sind (siehe hierzu einen Artikel von Johanna Pink in der ZEIT ). Ich möchte in diesem Artikel nicht weiter darauf eingehen, was genau das Kopftuch ist, wer es wie, wann, warum und wo trägt oder nicht trägt. Ich will auch nicht weiter diskutieren, weshalb sich unsere Gesellschaft so schwer damit tut, dieses Tuch auch einfach mal nicht zu bewerten und den Menschen, die es tragen (oder nicht tragen) ihre ständige Erklärungsnot zu nehmen. Ich möchte in diesem Artikel der Frage nachgehen, wie junge angehende Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen, auf ihre Lehrtätigkeit in Schulen mit noch überwiegend nicht-Kopftuch-tragenden Lehrer:innen, vorbereitet werden. Vor welchen Herausforderungen stehen sie und welche Unsicherheiten müssen sie für ihre berufliche Zukunft in Kauf nehmen?

In einem Treffen mit angehenden Lehrerinnen der islamischen Religionspädagogik einer pädagogischen Hochschule in Baden Württemberg wurde deutlich, dass junge Lehramtsstudentinnen immer noch mit dieser Unsicherheit und Angst vor Diskriminierung konfrontiert sind und ihre berufliche Zukunft deshalb stets mit vielen Fragen und Unklarheiten verbunden ist. Und das größte Problem daran? Sie werden im Studium nicht entsprechend auf die bevorstehenden Herausforderungen vorbereitet. Ein Gespräch mit Fatima (Name geändert), angehende Lehrerin für Mathematik und islamischer Religionspädagogik, in dem ich erfahren habe, dass im Kontext des Lehrens mit Kopftuch an Schulen, ein Paradox das nächste jagt, und Unsicherheiten zur Tagesordnung gehören… 

Zunächst als Hintergrund: In jedem Bundesland ist die Situation für kopftuchtragenden Musliminnen in der Lehrtätigkeit unterschiedlich. In der Dokumentation für Wissenschaftliche Dienste des Bundestags heißt es hierbei in der Einleitung: „Kopftuch tragende Lehrerinnen an allgemeinbildenden Schulen sind in den einzelnen Bundesländern nur vereinzelt im Schuldienst vertreten.“ Wenn Sie Fatima und mich fragen, fehlt hier eindeutig das kleine Wörtchen „Leider“!

Die Lehrer:innenschaft an allgemeinbildenden Schulen ist nämlich noch nicht sehr divers, was im Hinblick auf deren Vorbildfunktion für viele Schüler:innen mit Migrationsbiographie, verschiedener Religionszugehörigkeiten und Weltanschauungen sehr bedauerlich ist. Allen Debatten liegt dabei aktuell das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 zugrunde. Eine Lehrerin aus Nordrhein-Westfahlen hatte gegen Sanktionen des Arbeitsgerichts geklagt. Sie sollte gezwungen werden, ein aus religiösen Gründen getragenes Kopftuch beziehungsweise eine als Ersatz hierfür getragene Wollmütze im Schuldienst abzulegen. Daraufhin weigerte sich die Lehrerin und zog vor das Bundesverfassungsgericht. Ihre Klage richtete sich damit auch gegen das nordrhein-westfälische Schulgesetz. Mit dem Beschluss vom 27. Januar 2015 entschied der Erste Senat, dass „ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist.“ Der Paragraf im Schulgesetz, der als Privilegierung zugunsten ‚christlich-abendländischer Bildungs- und Kulturwerte‘ oder ‚Traditionen‘ konzipiert ist, verstoße also gegen das Verbot der Benachteiligung aus religiösen Gründen (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 3 GG). 

Einfach formuliert: Ein pauschales Kopftuchverbot ist nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Trotzdem können die betroffenen Lehrerinnen gezwungen werden, ihr Kopftuch abzulegen, wenn ihr äußeres Erscheinungsbild „zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führt oder wesentlich dazu beiträgt.“  Was mit dieser hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens genau gemeint ist und wer diesen Schulfrieden definiert, lässt das Gericht offen. Die Situation für muslimische Lehrerinnen bleibt damit sehr diffus und undurchsichtig.

Daraus ergeben sich einige Widersprüche, die besonders auf Lehrerinnen zutreffen, die islamische Religion unterrichten möchten: Für diesen Unterricht ist die Zugehörigkeit zum Islam obligatorisch. Für viele Musliminnen geht dies mit dem Tragen eines Kopftuchs einher. Da viele angehende Lehrkräfte aber mehrere Fächer studieren, ist es wahrscheinlich, dass das zweite Fach außerhalb des Religionskontextes liegt. Dort kann das Kopftuch zwar nicht pauschal verboten werden, die Gefahr einer unangenehmen Auseinandersetzung mit anderen Lehrkräften, Schüler:innen, Eltern und sonstigen, im Schulbetrieb aktiven Personen und Institutionen, besteht jedoch trotzdem. Je nach Definition des „Schulfriedens“ und der Menschen, die ihn durch das Kopftuch gefährdet sehen, kann es dann im Ernstfall durchaus zum Verbot des Kopftuchtragens für die Lehrerin kommen. Ein schwerwiegender Eingriff in das private Glaubensleben der Lehrerin und ein persönliches Dilemma, das sich daraus ergeben kann: Kopftuch oder Karriere?

Es ist zwar bisher noch nicht zu solch einem Fall gekommen, jedoch ist allein die Tatsache, dass angehende Lehrerinnen mit dieser Unsicherheit in ihrem Beruf leben müssen, doch schon besorgniserregend. Fatima hatte vor ihrem Pflichtpraktikum in einer kleinen Dorfschule viele Sorgen und fühlte sich unbeholfen:

„Und dann habe ich realisiert, dass ich auf einer Dorfschule gelandet bin. Die können mich doch gar nicht akzeptieren. Ich dachte, ich wäre dort nicht gut aufgehoben, weil sie Leute wie mich nicht kennen, weil das dort doch fremd ist. In den Sommerferien habe ich mir den Kopf darüber zerrissen, wie ich das machen soll, ein Praktikum dort zu machen.“

Auch in ihrem Studium fand in diesem Sinne keine Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit statt. Keine Diskussionsrunden, keine Gespräche oder Auseinandersetzungen mit den Unsicherheiten der Studentinnen:

„Es gibt gar nichts, im Gegenteil, ich finde es echt traurig, aber es ist leider wahr, uns wurde sogar abgeraten vom Kopftuch, weil wir so viele Probleme haben werden und da hieß es dann ‚Wieso macht ihr das?‘ (…) und damit nimmt man mir ja das Selbstvertrauen und das darf nicht sein.“

Im Gegensatz zu ihren schlimmen Erwartungen, wurde sie sehr herzlich empfangen und es gab keine unangenehmen Situationen oder Diskussionen an ihrer Schule. Sie wurde von einigen Eltern sogar freudig als die erste Lehrerin mit Kopftuch begrüßt. Für Fatima eine sehr schöne Erkenntnis, die auch im Gegensatz zu ihren eigenen Vorurteilen und dem Druck, den sie sich gemacht hatte, stand. Sie möchte diese Erfahrung auch an ihre Schüler:innen weitergeben. Gerade Kinder mit Migrationsbiografie hätten oft Minderwertigkeitsgefühle, die sie von ihren Eltern oder ihrem Umkreis auferlegt bekämen. Auch ihr wurde stets beigebracht, sich doppelt so sehr anzustrengen, doppelt so freundlich zu sein, da sie grundsätzlich in einer Nachteilsposition zu den hier aufgewachsenen Kindern stehen würde.

„Das wurde mir auch in die Wiege gelegt. Und das macht einen ja kaputt – immer davon auszugehen, dass man weniger wert ist. Das hat mir total das Selbstvertrauen genommen, obwohl das ja gar nicht sein muss. Da entsteht ein Machtverhältnis, das ich mit dieser Haltung akzeptiere. Klar ist die Welt nicht rosarot, aber den Kindern beizubringen, dass sie primär erstmal weniger wert wären, macht im Kopf, in der Psyche, im Selbstwert, im Selbstbewusstsein und in der Selbstdarstellung einfach sehr viel aus.“ 

Die aktuelle Rechtslage stößt bei ihr trotz der guten Erfahrungen auf Ärger und Frust. Sie sieht darin ein ebensolches Machtgefälle und die Unterstellung einer potenziellen Gefährdung, die andere Leute durch sie – nur aufgrund des Kopftuchs – wahrnehmen. 

„Ich finde es allgemein erschreckend, dass es überhaupt zu einem Gegenstand der Politik und der Schulentwicklung wird, da ich als Kopftuchträgerin so unnötig viel Aufmerksamkeit bekomme. Das gibt mir das Gefühl als wäre ich eine Attentäterin, als ob ich eine Systemsprengerin wäre, oder irgendetwas Illegales mache. Es fühlt sich dann auch so an, als ob jeder einzelne Schritt beobachtet würde. Das darf in der Schule nicht sein, die Schule ist für mich ein Ort, in dem jede:r sich wohlfühlen sollte – auch ich.“ 

„Den Begriff „Schulfrieden“ finde ich sehr gewagt, weil er eine riesige Spannweite hat. Wie definiert man das? Den Schulfrieden zu stören, da können verschiedene Auslöser Grund für sein, da kann nicht nur ich als Kopftuchträgerin dafür verantwortlich sein. Ich finde es wichtig, dass der Schulfrieden gewährleistet ist, aber es kann ja nicht wahr sein, dass er durch ein Kopftuch gestört wird. Den Schulfrieden kann nur die Tat einer Person gefährden, und nicht ihr Kleidungsstück.“ 

In unserem Gespräch berichtete Fatima von vielen schönen Erfahrungen und positiven Begegnungen aus den letzten Jahren, die sie als Lehrerin an ihre Kinder weitergeben möchte und worin sie auch ihre Aufgabe sieht: Die Begegnung zwischen Menschen auf Augenhöhe.

Sophia Hiss


Sophia ist 22 Jahre alt und studiert Islamwissenschaft und Kulturanthropologie/Ethnologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Zentral für ihr Studium ist ihr Interesse an außereuropäischen Sprachen (Arabisch und Türkisch) und Politik des "Nahen und Mittleren Ostens" sowie die Auseinandersetzung mit Postkolonialismus und Rassismus.

Sophia hat eine große Leidenschaft fürs Schreiben und Recherchieren und reist gerne durch die Weltgeschichte. Gelegentlich kann mensch ihre Meinung auch auf Twitter lesen, von sonstigen Social-Media Plattformen hält sie sich so gut fern, wie es geht.

Sie engagiert sich gerne ehrenamtlich und versucht, ihre privilegierte Position dafür zu nutzen, um sich für gute Dinge einzusetzen.

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